Lektorat und Seele
Verfasst: 23.09.2015, 15:16
Liebe Leute,
ich habe ein vielleicht etwas ungewöhnliches Post-Doc-Problem und - da alle unbefangenen Ratgeber im Freundes- und Familienkreis nicht in der Wissenschaft arbeiten - auch keinen wirklichen Ansprechpartner. Deswegen dachte ich, dass ihr vielleicht ein paar Handlungsoptionen oder vielleicht auch neue Betrachtungsweisen erkennt, auch wenn es sich nicht um die klassischen, eher formalen Fragen der Post-Doc-Beschäftigung an einer Universität geht.
Ich will versuchen, den Hintergrund so kurz wie möglich darzustellen, aber das ist schon nicht ganz einfach. Ich hab' irgendwann mal ganz normal angefangen zu promovieren, direkt nach dem Studium, auf einer 1/2-WiMi-Stelle. In meinem Themengebiet (einem angewandten, interdisziplinären Bereich der Wirtschaftswissenschaften) ist die Promotion für eine Tätigkeit außerhalb der Wissenschaft nicht unbedingt notwendig, aber ich hatte eigentlich vor, es mit der wissenschaftlichen Laufbahn zu versuchen und wollte mit einer guten, vielleicht sogar auffallenden Dissertation dafür den Grundstein legen. Dabei habe ich mich verrannt, hab' viele Warnsignale ignoriert, die mich eigentlich darauf hinweisen sollten, dass mein Ziel und die Gegebenheiten in der Abteilung nicht zusammenpassen. Ich hatte mich vor der Promotion darauf eingestellt, meine Frustrationstoleranz aktivieren zu müssen. Allerdings hatte ich dann nicht damit gerechnet, das es am Ende einfach nur eine sehr, sehr lange Frustrationserfahrung werden würde, die auch nicht mehr durch ein positives Erfolgserlebnis aufgelöst werden kann. Ich hab' dann sowieso schon viel zu lange auf der WiMi-Stelle rumgekrebst und erst ganz zum Schluss, mit dem Erreichen der Höchstbefristungsdauer, als ich mental schon aus dem letzten Loch gepfiffen habe, die Reißleine gezogen und Freiraum für die Diss eingefordert. Es haben sich über die Zeit unglaublich viele Konflikte mit dem Betreuer angehäuft, die so gut wie jeden Aspekt der Zusammenarbeit betrafen: Die Befristungen über wenige Monate, die Überschreitung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, die Betreuung der Diss, die Aufgabenverteilung, Autorenschaften und die Zurechenbarkeit von Projektergebnissen, die Möglichkeit zur Mitsprache in der Planung von Projekten - wirklich nahezu alles, was so einen wissenschaftlichen Arbeitsplatz ausmacht, war irgendwie belastet.
Die schlechte Zusammenarbeit köchelte schon ein paar Jahre vor sich hin, als es im letzten Jahr zu einem aus meiner Sicht sehr schwerwiegenden Vertrauensbruch kam. Mein Betreuer/Vorgesetzter hat einen Auftrag an mich weitergegeben, von dem er sich eine private und unmittelbar an ihn gehende Vergütung erwartete, ohne mich über diese zu informieren oder mich beteiligen zu wollen. Es kam mehr zufällig raus und mein Beharren, die Sache klären und nicht einfach unter den Tisch fallen lassen zu wollen (bis dahin erprobte und erfolgreiche Praxis bei ungeklärten Problemen), hat er nicht gut aufgenommen. Er hat meine Weiterbeschäftigung (d.h. die eigentlich schon zugesagte, volle Post-Doc-Stelle) in Frage gestellt.
Die Folge war ein völliger Kommunikationsabbruch: Ich konnte es nicht fassen, dass er so weit gehen würde, für ihn war meine Verärgerung unverständlich. In den letzten Monaten, in denen ich dann im Wesentlichen die Diss geschrieben habe, gab' es einfach gar keine Gespräche mehr, schon gar nicht über das Fortschreiten der Arbeit. Die Post-Doc-Stelle war natürlich hinfällig, worüber es allerdings auch erst sehr spät überhaupt zu einem Gespräch kam.
Ich hab' lange geglaubt, dass ich es packen würde, unter diesen Bedingungen eine wissenschaftliche Leistung zu erbringen. Ich hab' mir ärztliche Hilfe gesucht und dort gezielt nach einem Anti-Depressivum gefragt, mit dem die Konzentrationsfähigkeit erhalten bleibt, damit ich zu Ende schreiben kann. Das war nicht schlau oder sinnvoll oder gut, erschien' mir damals aber wie der einzige Ausweg: Ich schreibe das Dingen irgendwie zu Ende und suche mir dann was Neues, um die schlechte Erfahrung bei der Promotion durch positive Erfahrungen zu überschreiben. Toller Plan - wenn er denn geklappt hätte. Ich hab' die Diss fertig geschrieben. Sie ist ... naja ... ich würd' sagen "So lala.". Ein paar Sachen, vor allem aus der Zeit vor der Depression, sind originell, aber die Kohärenz der Darstellung der Ergebnisse lässt zu wünschen übrig. Wie sie bewertet wurde, kann ich noch nicht mal sagen, denn ich habe sie nicht abgegeben. In dem Moment, in dem ich den letzten Punkt gesetzt habe, war es, als würde ein inneres Gummiband, das zuvor noch alles zusammengehalten hat, reißen. Bei dem Gedanken, dass ich jetzt keine Phase haben würde, in der ich mich über das erfolgreiche Abschließen meiner Diss freuen könnte, sondern mir neue berufliche Optionen erschließen müsste, mit Bewerbungen, Absagen, Vorstellungsgesprächen, vielleicht einem Umzug und Zeit für die Einarbeitung, habe ich angefangen zu weinen. Und damit auch ein paar Monate nicht mehr aufgehört. Ich hab' es entsetzlich bereut, die Diss überhaupt begonnen zu haben. Ich hatte Schuldgefühle, weil ich etwas, das mir sehr wichtig war, nämlich die Perspektive auf eine berufliche Laufbahn in der Wissenschaft, leichtfertig durch das Festhalten an einer ungeeigneten Qualifikationsstelle gefährdet habe. Ich hab' mich mit Selbstzweifeln und Schamgefühlen gequält, weil man mit mir doch sicher nicht so umgehen würde, wenn ich wissenschaftlich fähig und "förderungswürdiger Nachwuchs" wäre. Ich war - um es kurz zu machen - seelisch sehr, sehr krank, aber die ganze Zeit fest davon überzeugt, dass ich mich nur zusammenreißen und einen anderen Job suchen müsse, um dann woanders neu durchzustarten. Manchmal gab' es Situationen, die waren fast schon absurd. Zum Beispiel, als ich meinem behandelnden Arzt genau diese Überzeugung mitgeteilt habe: "Geben Sie mir nur die richtige Pille für den Antrieb, dann suche ich mir einen neuen Job und mache da alles anders.". Er hat mir dann mitgeteilt, dass die einzige Art von Arbeit, über die ich im Moment nachdenken sollte, eine Ergo-Therapie sei - um mal wieder einen positiven Zugang zu diesem ganzen Lebensbereich zu entwickeln. So viel zu meiner festen Überzeugung, in der Wissenschaft einen produktiven Beitrag leisten zu können.
Das "Raus aus dem Tief" hat seeeeehr lange gedauert. Länger. Noch länger. Es waren Tippelschritte, über Spaziergänge mit einem Hund, dann über Gespräche mit einem sehr lieben Menschen, der wegen einer körperlichen Erkrankung nicht erwerbstätig ist (und so viel Zeit zum Zuhören hatte). Dann ein gemeinsames Projekt, bei dem wir etwas gebaut haben. Dann irgendwann dieses Forum. Dann das Wiederaufnehmen von alten Kontakten und Freundschaften. Und dann irgendwann auch die Konfrontation mit der Uni und meinem ehemaligen Betreuer/Vorgesetzten. Und damit sind wir im "Hier und Jetzt".
Nach derzeitigem Stand der Dinge kann ich eine wissenschaftliche Karriere in den Wind schreiben. Stattdessen steht jetzt "Berappeln" auf dem Plan. Nach langen und zähen Auseinandersetzungen zeichnet sich jetzt die Möglichkeit ab, mit einer halben Lektorenstelle wieder einzusteigen. Das ist tatsächlich in meinem Interesse, einfach aus pragmatischen Gründen. Ich muss meine Miete zahlen und das mache ich lieber mit einem Job, den ich mal gemocht habe, als mit einem MacJob ohne Bezug zu Studium und Promotion. Ich würde Zeit gewinnen, in der ich weiter an meiner persönlichen Stabilisierung, z.B. mit psychotherapeutischer Unterstützung, arbeiten könnte, um dann in drei Jahren eine berufliche Neu-Orientierung in Angriff zu nehmen. Es wäre ein Grund, die Diss noch abzugeben. Vielleicht kann ich noch ein paar nette Publikationen draus machen und mir die Begeisterung für's Thema zurück holen. Einen Umzug und einen neuen Job würde ich im Moment - auch wegen des schon genannten lieben Menschen - nicht stemmen. Es ist - im Vergleich zu den nicht wirklich berauschenden Alternativen - eine gute Lösung.
Sagt mein Verstand. Meine Seele sagt: Tu' dir das nicht an. Da es so lange gedauert hat und so viele Auseinandersetzungen notwendig waren, bis sich diese Möglichkeit aufgetan hat, sind neue Verletzungen entstanden, die einem unbelasteten Neu-Anfang im Wege stehen. Die ständige Konfrontation mit dem, was ich mir eigentlich mal für meine berufliche Laufbahn gewünscht habe und denen, die diesen Weg noch gehen können, wird schmerzhaft. Ich könnte mir vorstellen, dass meine Geschichte an den Unis vielleicht gar nicht mal so unüblich ist, aber wegen des katastrophenhaften Verlaufs zur emotionalen Abwehr bei Kollegen führt, einfach aus Selbstschutz heraus. Und ich selbst bin bitter und zynisch, eigentlich keine gute Voraussetzung, um mich auf eine Tätigkeit in der Lehre einzulassen.
Ich habe mich entschieden, es zu machen. Deswegen ist das hier keine klassische "Soll ich es tun oder nicht?"-Frage, sondern ich wollte euch fragen, wie es gelingen kann. Im Moment bin ich nichts, als ein sehr, sehr toxischer Gefühls-Mix. Bestimmte Verhaltensweisen, die an den Unis absolut üblich sind (z.B. verantwortungsloses Projektmanagement, bei dem die besonderen Arbeitsbedingungen der Universitäten ausgenutzt werden) lösen extreme Gefühle von Wut, Ohnmacht, Entsetzen aus. Keine Sorge, ich schnapp' mir keine Bazooka und gebe den Valéry Fabrikant - denn ich weiß, dass Ausagieren Wut nur verschlimmert, aber nicht auflöst. Ich möchte da eigentlich raus und die Zeit positiv nutzen. Ganz oben auf der Liste steht die Suche nach psychotherapeutischer Unterstützung, teilweise zur Aufarbeitung, teilweise um dann gestärkt etwas Anderes in Angriff nehmen zu können. Check. Aber vielleicht wisst ihr darüber hinaus Mittel und Wege, wie ich Zufriedenheit aus der Arbeit selbst ziehen kann. Was macht euch an dem Job glücklich, in der Gegenwart, nicht als Investition mit ungewissem Ausgang?
ich habe ein vielleicht etwas ungewöhnliches Post-Doc-Problem und - da alle unbefangenen Ratgeber im Freundes- und Familienkreis nicht in der Wissenschaft arbeiten - auch keinen wirklichen Ansprechpartner. Deswegen dachte ich, dass ihr vielleicht ein paar Handlungsoptionen oder vielleicht auch neue Betrachtungsweisen erkennt, auch wenn es sich nicht um die klassischen, eher formalen Fragen der Post-Doc-Beschäftigung an einer Universität geht.
Ich will versuchen, den Hintergrund so kurz wie möglich darzustellen, aber das ist schon nicht ganz einfach. Ich hab' irgendwann mal ganz normal angefangen zu promovieren, direkt nach dem Studium, auf einer 1/2-WiMi-Stelle. In meinem Themengebiet (einem angewandten, interdisziplinären Bereich der Wirtschaftswissenschaften) ist die Promotion für eine Tätigkeit außerhalb der Wissenschaft nicht unbedingt notwendig, aber ich hatte eigentlich vor, es mit der wissenschaftlichen Laufbahn zu versuchen und wollte mit einer guten, vielleicht sogar auffallenden Dissertation dafür den Grundstein legen. Dabei habe ich mich verrannt, hab' viele Warnsignale ignoriert, die mich eigentlich darauf hinweisen sollten, dass mein Ziel und die Gegebenheiten in der Abteilung nicht zusammenpassen. Ich hatte mich vor der Promotion darauf eingestellt, meine Frustrationstoleranz aktivieren zu müssen. Allerdings hatte ich dann nicht damit gerechnet, das es am Ende einfach nur eine sehr, sehr lange Frustrationserfahrung werden würde, die auch nicht mehr durch ein positives Erfolgserlebnis aufgelöst werden kann. Ich hab' dann sowieso schon viel zu lange auf der WiMi-Stelle rumgekrebst und erst ganz zum Schluss, mit dem Erreichen der Höchstbefristungsdauer, als ich mental schon aus dem letzten Loch gepfiffen habe, die Reißleine gezogen und Freiraum für die Diss eingefordert. Es haben sich über die Zeit unglaublich viele Konflikte mit dem Betreuer angehäuft, die so gut wie jeden Aspekt der Zusammenarbeit betrafen: Die Befristungen über wenige Monate, die Überschreitung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, die Betreuung der Diss, die Aufgabenverteilung, Autorenschaften und die Zurechenbarkeit von Projektergebnissen, die Möglichkeit zur Mitsprache in der Planung von Projekten - wirklich nahezu alles, was so einen wissenschaftlichen Arbeitsplatz ausmacht, war irgendwie belastet.
Die schlechte Zusammenarbeit köchelte schon ein paar Jahre vor sich hin, als es im letzten Jahr zu einem aus meiner Sicht sehr schwerwiegenden Vertrauensbruch kam. Mein Betreuer/Vorgesetzter hat einen Auftrag an mich weitergegeben, von dem er sich eine private und unmittelbar an ihn gehende Vergütung erwartete, ohne mich über diese zu informieren oder mich beteiligen zu wollen. Es kam mehr zufällig raus und mein Beharren, die Sache klären und nicht einfach unter den Tisch fallen lassen zu wollen (bis dahin erprobte und erfolgreiche Praxis bei ungeklärten Problemen), hat er nicht gut aufgenommen. Er hat meine Weiterbeschäftigung (d.h. die eigentlich schon zugesagte, volle Post-Doc-Stelle) in Frage gestellt.
Die Folge war ein völliger Kommunikationsabbruch: Ich konnte es nicht fassen, dass er so weit gehen würde, für ihn war meine Verärgerung unverständlich. In den letzten Monaten, in denen ich dann im Wesentlichen die Diss geschrieben habe, gab' es einfach gar keine Gespräche mehr, schon gar nicht über das Fortschreiten der Arbeit. Die Post-Doc-Stelle war natürlich hinfällig, worüber es allerdings auch erst sehr spät überhaupt zu einem Gespräch kam.
Ich hab' lange geglaubt, dass ich es packen würde, unter diesen Bedingungen eine wissenschaftliche Leistung zu erbringen. Ich hab' mir ärztliche Hilfe gesucht und dort gezielt nach einem Anti-Depressivum gefragt, mit dem die Konzentrationsfähigkeit erhalten bleibt, damit ich zu Ende schreiben kann. Das war nicht schlau oder sinnvoll oder gut, erschien' mir damals aber wie der einzige Ausweg: Ich schreibe das Dingen irgendwie zu Ende und suche mir dann was Neues, um die schlechte Erfahrung bei der Promotion durch positive Erfahrungen zu überschreiben. Toller Plan - wenn er denn geklappt hätte. Ich hab' die Diss fertig geschrieben. Sie ist ... naja ... ich würd' sagen "So lala.". Ein paar Sachen, vor allem aus der Zeit vor der Depression, sind originell, aber die Kohärenz der Darstellung der Ergebnisse lässt zu wünschen übrig. Wie sie bewertet wurde, kann ich noch nicht mal sagen, denn ich habe sie nicht abgegeben. In dem Moment, in dem ich den letzten Punkt gesetzt habe, war es, als würde ein inneres Gummiband, das zuvor noch alles zusammengehalten hat, reißen. Bei dem Gedanken, dass ich jetzt keine Phase haben würde, in der ich mich über das erfolgreiche Abschließen meiner Diss freuen könnte, sondern mir neue berufliche Optionen erschließen müsste, mit Bewerbungen, Absagen, Vorstellungsgesprächen, vielleicht einem Umzug und Zeit für die Einarbeitung, habe ich angefangen zu weinen. Und damit auch ein paar Monate nicht mehr aufgehört. Ich hab' es entsetzlich bereut, die Diss überhaupt begonnen zu haben. Ich hatte Schuldgefühle, weil ich etwas, das mir sehr wichtig war, nämlich die Perspektive auf eine berufliche Laufbahn in der Wissenschaft, leichtfertig durch das Festhalten an einer ungeeigneten Qualifikationsstelle gefährdet habe. Ich hab' mich mit Selbstzweifeln und Schamgefühlen gequält, weil man mit mir doch sicher nicht so umgehen würde, wenn ich wissenschaftlich fähig und "förderungswürdiger Nachwuchs" wäre. Ich war - um es kurz zu machen - seelisch sehr, sehr krank, aber die ganze Zeit fest davon überzeugt, dass ich mich nur zusammenreißen und einen anderen Job suchen müsse, um dann woanders neu durchzustarten. Manchmal gab' es Situationen, die waren fast schon absurd. Zum Beispiel, als ich meinem behandelnden Arzt genau diese Überzeugung mitgeteilt habe: "Geben Sie mir nur die richtige Pille für den Antrieb, dann suche ich mir einen neuen Job und mache da alles anders.". Er hat mir dann mitgeteilt, dass die einzige Art von Arbeit, über die ich im Moment nachdenken sollte, eine Ergo-Therapie sei - um mal wieder einen positiven Zugang zu diesem ganzen Lebensbereich zu entwickeln. So viel zu meiner festen Überzeugung, in der Wissenschaft einen produktiven Beitrag leisten zu können.
Das "Raus aus dem Tief" hat seeeeehr lange gedauert. Länger. Noch länger. Es waren Tippelschritte, über Spaziergänge mit einem Hund, dann über Gespräche mit einem sehr lieben Menschen, der wegen einer körperlichen Erkrankung nicht erwerbstätig ist (und so viel Zeit zum Zuhören hatte). Dann ein gemeinsames Projekt, bei dem wir etwas gebaut haben. Dann irgendwann dieses Forum. Dann das Wiederaufnehmen von alten Kontakten und Freundschaften. Und dann irgendwann auch die Konfrontation mit der Uni und meinem ehemaligen Betreuer/Vorgesetzten. Und damit sind wir im "Hier und Jetzt".
Nach derzeitigem Stand der Dinge kann ich eine wissenschaftliche Karriere in den Wind schreiben. Stattdessen steht jetzt "Berappeln" auf dem Plan. Nach langen und zähen Auseinandersetzungen zeichnet sich jetzt die Möglichkeit ab, mit einer halben Lektorenstelle wieder einzusteigen. Das ist tatsächlich in meinem Interesse, einfach aus pragmatischen Gründen. Ich muss meine Miete zahlen und das mache ich lieber mit einem Job, den ich mal gemocht habe, als mit einem MacJob ohne Bezug zu Studium und Promotion. Ich würde Zeit gewinnen, in der ich weiter an meiner persönlichen Stabilisierung, z.B. mit psychotherapeutischer Unterstützung, arbeiten könnte, um dann in drei Jahren eine berufliche Neu-Orientierung in Angriff zu nehmen. Es wäre ein Grund, die Diss noch abzugeben. Vielleicht kann ich noch ein paar nette Publikationen draus machen und mir die Begeisterung für's Thema zurück holen. Einen Umzug und einen neuen Job würde ich im Moment - auch wegen des schon genannten lieben Menschen - nicht stemmen. Es ist - im Vergleich zu den nicht wirklich berauschenden Alternativen - eine gute Lösung.
Sagt mein Verstand. Meine Seele sagt: Tu' dir das nicht an. Da es so lange gedauert hat und so viele Auseinandersetzungen notwendig waren, bis sich diese Möglichkeit aufgetan hat, sind neue Verletzungen entstanden, die einem unbelasteten Neu-Anfang im Wege stehen. Die ständige Konfrontation mit dem, was ich mir eigentlich mal für meine berufliche Laufbahn gewünscht habe und denen, die diesen Weg noch gehen können, wird schmerzhaft. Ich könnte mir vorstellen, dass meine Geschichte an den Unis vielleicht gar nicht mal so unüblich ist, aber wegen des katastrophenhaften Verlaufs zur emotionalen Abwehr bei Kollegen führt, einfach aus Selbstschutz heraus. Und ich selbst bin bitter und zynisch, eigentlich keine gute Voraussetzung, um mich auf eine Tätigkeit in der Lehre einzulassen.
Ich habe mich entschieden, es zu machen. Deswegen ist das hier keine klassische "Soll ich es tun oder nicht?"-Frage, sondern ich wollte euch fragen, wie es gelingen kann. Im Moment bin ich nichts, als ein sehr, sehr toxischer Gefühls-Mix. Bestimmte Verhaltensweisen, die an den Unis absolut üblich sind (z.B. verantwortungsloses Projektmanagement, bei dem die besonderen Arbeitsbedingungen der Universitäten ausgenutzt werden) lösen extreme Gefühle von Wut, Ohnmacht, Entsetzen aus. Keine Sorge, ich schnapp' mir keine Bazooka und gebe den Valéry Fabrikant - denn ich weiß, dass Ausagieren Wut nur verschlimmert, aber nicht auflöst. Ich möchte da eigentlich raus und die Zeit positiv nutzen. Ganz oben auf der Liste steht die Suche nach psychotherapeutischer Unterstützung, teilweise zur Aufarbeitung, teilweise um dann gestärkt etwas Anderes in Angriff nehmen zu können. Check. Aber vielleicht wisst ihr darüber hinaus Mittel und Wege, wie ich Zufriedenheit aus der Arbeit selbst ziehen kann. Was macht euch an dem Job glücklich, in der Gegenwart, nicht als Investition mit ungewissem Ausgang?