Plagiatsvorwürfe weltweit

Das Unterforum zur Diskussion um die aus fremden Textpassagen zusammengesetzten Dissertationen Prominenter.

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musicus

Re: Plagiatsvorwürfe weltweit

Beitrag von musicus »

Der richtigere Weg scheint mir doch eher zu sein, die Wissenschaft im Allgemeinen und die Promotion im Besonderen dadurch wieder aufzuwerten und Ihren Ruf zu retten, indem man sicherstellt, dass vernünftig wissenschaftlich gearbeitet wird. Dafür bedarf es vor Abgabe der Kontrolle auf Plagiate und vernünftige fachbezogene Standards für die Mindestanforderungen an Doktorarbeiten. So jedenfalls mein Vorschlag.
Bezüglich Plagiatskontrolle*) und fachbezogene Standards, die wesentlich eindeutiger und objektiver (unabhängig vom Prüfer!) als die bisherigen kaum etwas aussagenden Formulierungen sind, bin ich vollkommen einverstanden.

Aber! Dazu ist ja genau die kritische Reflektion notwendig, die wir hier versuchen. Alleine, wie das Wort "wissenschaftlich" gern als Synonym zu "wahr", "richtig", "einzig möglich" oder so in der Art verwendet wird, zeigt mir, daß die wenigsten Wissenschaftler darüber wirklich nachdenken. Ich nehme, nimm es mir nicht übel, mal deinen (beiläufigen) Satz von oben:
roberto hat geschrieben:…wer weiß, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse man daraus ziehen kann…
Was sind denn wissenschaftliche Erkenntnisse? Gibt es auch andere Erkenntnisse? Irgendjemand sagte, der Dr. "krönt". Ich finde das alles viel zu elitär. Den Dr. med könne man nicht auf einen normalen Studienabschluß zurückstufen (was er faktisch ist), weil dann das "Ansehen" leidet, usw.

Deshalb versuche ich, diese Denkweise aufzubrechen, indem ich sage: Medizin ist keine Wissenschaft, Wirtschaftswissenschaft ist keine Wissenschaft, einfach weil sie an inkorrekten Vorstellungen und Modellierungen der Realität wider besseren empirischen Wissens festhält. Und wenn man ein Stück über den Horizont hinaus geht, wird man sowieso feststellen, daß das, was wir für Wissen halten, fast immer "lediglich" Glauben ist.

Auf dieser Basis könnte man dann wieder aufbauen und Mindeststandards definieren (die dann aber für alle Fächer gelten sollten). Ich nenne mal als Beispiele:
  • Eigene von fremden Gedanken trennen (die Plagiatsproblematik)
  • Eigene Erkenntnisse nachvollziehbar herleiten
  • systematisch und ohne Bias vorgehen
  • korrekte Ethik anwenden, d.h. Forschung nie zum Nachteil von Lebewesen durchführen etc.
  • Freiheit von Interessen Dritter (z.B. durch Drittmittelfreiheit von Forschung und Lehre) gewährleisten
  • usw.
*) Meine eigene Fakultät, an der es jetzt um den Plagiatsvorwurf gegen Koch-Mehrin geht, hat gerade heute eine systematische softwaregestützte Kontrolle klar abgelehnt, unter dem recht fadenscheinigen Argument des "Vertrauens", das nicht zerstört werden dürfe, oder so ähnlich.

**) In einer Diskussion habe ich heute von einer Wissenschaftlerin das Wort dieses und jenes sei "unhinterfragbar" gehört. Auch das ist für mich z.B. nicht wissenschaftlich. Die Wissenschaft muß alles, insbesondere sich selbst, ständig hinterfragen.
Frodo

Re: Plagiatsvorwürfe weltweit

Beitrag von Frodo »

musicus hat geschrieben:Deshalb versuche ich, diese Denkweise aufzubrechen, indem ich sage: Medizin ist keine Wissenschaft, Wirtschaftswissenschaft ist keine Wissenschaft, einfach weil sie an inkorrekten Vorstellungen und Modellierungen der Realität wider besseren empirischen Wissens festhält.
Genau solche Aussagen liebe ich. Offensichtlich scheinst du ein exzellenter Mediziner und auch gleich noch ein Ökonom erster Güte zu sein, um diese Erkenntnis erlangt zu haben.

Vor einigen Jahren hätte ich mich darüber noch grossartig aufregen können, heute schmunzle ich über solche "über den Horizont hinausgehenden" Weisheiten. :D

Liebe Grüsse,
Frodo
musicus

Re: Plagiatsvorwürfe weltweit

Beitrag von musicus »

Das ist immer die Gefahr, wenn man etwas (insbesondere den Mainstream) kritisiert. :wink: Die Gegenposition dazu ist m.E. unreflektierter: "Die Mehrheit wird schon recht haben, sind schließlich alles exzellente Leute." Ich stütze mich übrigens auf exzellente Mediziner und Ökonomen. Aber was ist schon "exzellent", und wer legt das fest?

PS: Kritik mit einem eher persönlichen Anwurf abzutun, ist eher unwissenschaftlich.
MrSir

Re: Plagiatsvorwürfe weltweit

Beitrag von MrSir »

musicus hat geschrieben:

Deshalb versuche ich, diese Denkweise aufzubrechen, indem ich sage: Medizin ist keine Wissenschaft, Wirtschaftswissenschaft ist keine Wissenschaft, einfach weil sie an inkorrekten Vorstellungen und Modellierungen der Realität wider besseren empirischen Wissens festhält. Und wenn man ein Stück über den Horizont hinaus geht, wird man sowieso feststellen, daß das, was wir für Wissen halten, fast immer "lediglich" Glauben ist.

Auf dieser Basis könnte man dann wieder aufbauen und Mindeststandards definieren (die dann aber für alle Fächer gelten sollten). Ich nenne mal als Beispiele:
Das sind aber ganz schön dünne Bretter, die Du jetzt bohrst. Ich behaupte, also bin ich
Nicht alles, was sich aufbrechen lässt, ist eine neue Denkweise...
Und welche neue Basis meinst Du? Wenn die Betrachtung tatsächlich objektiviert werden soll, müssen diese Standards dann auf alle Wissensgebiete angewendet werden. Wobei Du dann wieder an den Punkt gelangst, dass diese Basis heißt: entweder sind alle Wissensgebiete Wissenschaften oder alle eben nicht. Du würdest eine Objektivierung des Ganzen durch vorherige Selektion in "echte" und "Schein"Wissenschaften ad absurdum führen.
Worüber gesprochen werden muss, ist die Prozessqualität der Erstellung einer Promotion, nicht die Promotion selbst.
Sebastian
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Re: Plagiatsvorwürfe weltweit

Beitrag von Sebastian »

Manyra hat geschrieben:Vielleicht sollte der Thread wegen 4 Seiten voll OT geschlossen werden.
Nun ja, aber es wird ja immerhin über ein gemeinsames Thema diskutiert. Ich bin gern bereit, den Thread-Titel nachträglich anzupassen, habe nur gerade keine gute Idee für eine bessere Überschrift.
Sebastian
roberto

Re: Plagiatsvorwürfe weltweit

Beitrag von roberto »

musicus hat geschrieben:
Was sind denn wissenschaftliche Erkenntnisse? Gibt es auch andere Erkenntnisse?
Aber sicher: Als mir klar wurde, dass mein Talent bei weitem nicht für eine Karriere als Profifußballer reicht und ich leider doch Rechtsanwalt werden muss, war dies für mich eine wichtige Erkenntnis, aber keine wissenschaftliche. Und als zigtausende Deutsche zu der Erkenntnis gelangen mussten, dass ihr Idol zu Guttenberg nicht der Saubermann und Heilsbringer ist, für den sie ihn hielten, hatte dies auch überhaupt nichts mit Wissenschaft zu tun (sondern dem genauen Gegenteil :wink: ).

Aber mit Deiner Gegenfrage entlarvst Du gerade die Schwäche Deiner eigenen Argumentation: Ist nicht jede Erkenntnis, die - wenn schon nicht die Menschheit - zumindest einen Fachbereich voranbringt, wissenschaftlich? Wenn in einer medizinischen Dissertation festgestellt wird, dass eine Behandlungsmethode bessere Erfolge bringt als eine andere, ist das nicht eine wissenschaftliche Erkenntnis? Und ist nicht die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden oder das Untersuchen noch unbekannter Krankheiten Wissenschaft? Ich würde sagen - ja. Weil es eben "Wissen schafft". Und genau so würde ich sie auch definieren, die Wissenschaft. Und damit sind wir auch genau bei dem relevantesten Kriterium für den Mindeststandard einer Doktorabeit - sie muss NEUE Erkenntnisse liefern (oder zumindest neue Thesen, einen "Glauben", der zu Erkenntnis führen kann).
Zuletzt geändert von roberto am 15.04.2011, 11:09, insgesamt 1-mal geändert.
musicus

Re: Plagiatsvorwürfe weltweit

Beitrag von musicus »

Ich persönlich versuche z.B. das Wort "wissenschaftlich" oder "unwissenschaftlich" völlig zu meiden, ich bin in der Tat der Ansicht, daß jeder ein "Wissenschaftler" ist, der systematisch versucht, für sich Erkenntnisse über die Realität zu gewinnen. Aber: dieses Erkenntnisinteresse muß vorhanden sein, das unterscheidet z.B. Wissenschaft von Ausbildung oder Handwerk. Ich bin immer ein Freund von genauen Operationalisierungen. Z.B. wenn du "neue Erkenntnisse" forderst, dann würde ich zurückfragen: für wen neu? Vieles, was für "die Wissenschaft" neu ist, ist doch in der Praxis längst bekannt (und wird ja auch aus dieser gewonnen, mittels z.B. "Expertenbefragung"). Oder aber es war vieles schon einmal bekannt, geriet dann in Vergessenheit und wird dann wiederentdeckt. Ist das dann neu? Das meine ich mit "schwammigen" Kriterien. Ich bin vielleicht schon zu oft einer Argumentation begegnet, die für sich selbst Wissenschaftlichkeit reklamiert, anderen diese Wissenschaftlichkeit abspricht, aber die Subjektivität der eigenen Maßstäbe dabei verkennt.
Wierus
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Re: Plagiatsvorwürfe weltweit

Beitrag von Wierus »

musicus hat geschrieben:Ich persönlich versuche z.B. das Wort "wissenschaftlich" oder "unwissenschaftlich" völlig zu meiden, ich bin in der Tat der Ansicht, daß jeder ein "Wissenschaftler" ist, der systematisch versucht, für sich Erkenntnisse über die Realität zu gewinnen. Aber: dieses Erkenntnisinteresse muß vorhanden sein, das unterscheidet z.B. Wissenschaft von Ausbildung oder Handwerk.
Ich verstehe diese Argumentation nicht. Denn wenn du nicht von Wissenschaft reden willst, im nächsten Nächsten Satz aber wieder davon reden musst um etwas zu veranschaulichen, dann ist das doch etwas seltsam. Ebenso halte ich das ganze Argument für wenig überzeugend.

Nehmen wir mal den Beruf des Schreiners: Ich sage nun, dass jeder, der systematisch versucht einen Holzschrank zu bauen, ein Schreiner ist. Oder noch besser: ich sage einfach, ein Handwerker ist jeder, der mit Werkzeug systematisch vorgeht und zB. Gebrauchsgegenstände herstellt oder Schäden behebt.
Und? Was hab ich mit diesen Verkürzungen gewonnen?
Genau: Nichts! Der Beruf Schreiner lässt sich nicht auf das Sägen und Basteln mit Holz reduzieren, und zum Handwerk an sich gehört eine längere Ausbildung in der viele verschiedene Dinge - von Schutzvorschriften bis zur Materialkunde - durchgenommen werden.

Und selbiges gilt für den Begriff "Wissenschaft": einen Wissenschaftler sollte nicht nur auszeichnen, dass er in irgendeinem Fachbereich Wissen produziert, sondern vielmehr, etwa mehodisches Vorgehen, Fähigkeit zur sachlichen Diskussion, weitgehend entemotionalisierte Argumentation, Leitvorstellung Objektivität, Überprüfbarkeit des eigenen schriftlichen Arbeitens etc.pp. und darüber hinaus in jedem Fach noch spezielle Grundlagen.

Ich habe den Eindruck, dass hier womöglich ein schlecht verdauter radikaler Konstruktivismus zu derartigen Ansichten führt.
musicus

Re: Plagiatsvorwürfe weltweit

Beitrag von musicus »

Ich muß von "wissenschaftlich" reden, weil ich am Ende eine "wissenschaftliche Arbeit" erstellt haben muß. Was unterscheidet deinen Handwerker aber von einem Wissenschaftler?
Wierus hat geschrieben:einen Wissenschaftler sollte nicht nur auszeichnen, dass er in irgendeinem Fachbereich Wissen produziert, sondern vielmehr, etwa mehodisches Vorgehen, Fähigkeit zur sachlichen Diskussion, weitgehend entemotionalisierte Argumentation, Leitvorstellung Objektivität, Überprüfbarkeit des eigenen schriftlichen Arbeitens etc.pp. und darüber hinaus in jedem Fach noch spezielle Grundlagen.
Einiges davon habe ich oben ja schon genannt. Bis auf die Objektivität und die Ent-Emotionalisierung würde ich da zustimmen. Aber: angenommen, du hast vor dir einen Text und mußt entscheiden, ob dieser wissenschaftlich, populärwissenschaftlich (auch so ein toller Begriff, der grade in einem anderen Thread aufgetaucht ist) oder unwissenschaftlich ist. Wie machst du das?
myfunnyvalentine

Re: Plagiatsvorwürfe weltweit

Beitrag von myfunnyvalentine »

Handwerker und Wissenschaftler partizipieren an unterschiedlichen Systemen. Mithin entscheidet die ‘Wissenschaft der Gesellschaft’ was
wissenschaftlich ist – und was nicht.

Ein wissenschaftlicher Text folgt also den Spielregeln des Systems, von denen Wierus bereits einige aufgezählt hat :)

So einfach ist das :)
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