Externe Promotion und Corona-Frust

Alexia1693
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Externe Promotion und Corona-Frust

Beitrag von Alexia1693 »

Liebe Doktoranden,

ich bin hier schon ein Weilchen registriert, aber eigentlich lediglicher Leser. Aber zur Zeit muss ich mir einfach etwas Luft machen und ich hoffe, dass ich hier den Rahmen dafür habe und die Stelle auch angebracht ist.


Ich promoviere seit 2018 extern, direkt im Anschluss an mein in Regelstudienzeit beendetes geisteswissenschaftliches Studium. Leider habe ich feststellen müssen, dass für mich ein Umstand, der während Studienzeiten und Masterarbeit nie ein großes Problem war - die mangelnde Betreuung - mich nun als Doktorandin doch sehr schlaucht. Ich hab 2 Jahre neben einem kleinen Nebenjob mehr schlecht als recht ein wenig "vor mich hin gestümpert", aber es ist immer mal wieder was passiert, obschon weniger, als ich es von mir gemessen an meinem Studium gewohnt war. Mein Doktorvater erkundigt sich eigentlich gar nicht nach mir und wenn ich um Feedback bitte, bekomme ich auch leider nicht immer welches zurück. Alles ein wenig diffus, aber man wurschtelt sich eben durch.

Dann ergab sich Anfang 2020 die Chance Vollzeit in ein Projekt einzusteigen, das mich ziemlich genau in die Nähe dessen brachte, wo ich am Ende einmal hin möchte. Diese Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen und bin dann also einmal quer durch halb Deutschland umgezogen. Das ist auch soweit so in Ordnung, aber quasi pünktlich zum Stellenbeginn kam Corona - und seit dem ist bei mir an der Diss irgendwie nichts mehr passiert.

Neue Stadt, neuer Job bzw. erster wirklich "richtiger" Job, aber keine Möglichkeit ein neues Umfeld aufzubauen, vollumfänglicher Wegbruch meiner gewohnten Hobbys und damit meines Ausgleichs neben Arbeit und Diss, da diese in der aktuellen Lage nicht mehr stattfinden konnten, dann der überraschende Schlaganfall meiner Mutter mit Klinik, Reha und allem was dazu gehört, samt der Monate langen Sorge, ob sie wieder einigermaßen wie früher werden wird...
Es war einfach unfassbar viel für mich und in meinem Kopf hatte die Diss aufeinmal absolut keinen Platz mehr.

Doch nun, ein Jahr später, normalisiert sich alles allmählich wieder - nur mein Kopf ist immernoch in einem Ausnahmezustand und ich bin vollkommen ratlos. Ich komme weder ins Schreiben, noch ins Wieder-Einlesen, und erst recht nicht in die Feldforschung dort, wo sie noch nötig wäre, rein - und alles während ein beißend schlechtes Gewissen an mir nagt, weil ich ja "ein Jahr lang gefaulenzt habe".

Wie kommt man denn aus so einem Tief heraus? Ich bin völlig überfragt und dass ich mich nun auch noch dafür, dass ich es irgendwie nicht schaffe wieder zu funktionieren und außerdem so lange nichts gemacht habe, auch noch selbst fertig mache hilft der Sache natürlich eher nicht. :(

Da kommen dann Zweifel, Sorgen und Ängste ob man "vielleicht nicht dafür gemacht sei". Aber ich mag mein Thema, wirklich, es interessiert mich auch genug, dass ich hin und wieder noch Dokus schaue, die es anreißen, aber sobald das, was ich tue, den Dünkel der Diss bekommt, blockt mein Kopf wieder ab. Ich bin jetzt Mitte-Ende-Zwanzig und weiß, dass das alterstechnisch für Geisteswissenschaftler in der Promotion noch kein Alter zu sein scheint. Aber dennoch bin ich in einer entsetzlichen mentalen Spirale nach diesem Jahr und fühle mich schlicht wie gelähmt und ziemlich allein gelassen mit dem Projekt. :(

Tut mir Leid, dass ich das Forum an dieser Stelle als Kummerkasten missbrauche, zumal ich auch kaum erwarten kann, dass mir eine Patentlösung präsentiert wird. Aber dennoch habe ich wirklich ein großes Bedürfnis ich einfach einmal mitzuteilen, denn irgendwie lässt mich dieses Gefühl, dass jeder "Corona irgendwie nutzen konnte", nur ich bin vollkommen von der Spur geraten, einfach nicht los und wird noch zusätzlich zur Last in meiner kleinen Misere... :(
Eva
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Re: Externe Promotion und Corona-Frust

Beitrag von Eva »

Liebe Alexia,

das sind viele erschwerende Umstände für eine externe Promotion. Unmöglich ist sie deshalb aber nicht. Ein paar Gedanken, die ich beim Lesen hatte:

Beruflich brauchst die Promotion durch den neuen Job jetzt ja nicht mehr. Ist deine Motivation, sie trotzdem zu Ende zu bringen, groß genug, um dich weiter damit zu belasten? Ich habe schon häufiger erlebt, dass Promovenden beruflich irgendwann auch ohne Diss Fuß gefasst hatten, wodurch sich die unmittelbare Notwendigkeit, die Diss abzuschließen, in Luft aufgelöst hat. Es erfordert dann wohl eine bewusste Entscheidung, abzubrechen, nach Abwägen aller Für und Wider. Das ist bestimmt nicht leicht, weil man schon viel Zeit hineingesteckt hat, weil die Promotion ein großer Traum war, weil man sein Thema mag etc., aber es wäre vielleicht auch für dich jetzt ein guter Zeitpunkt, um deine Motivation zu hinterfragen. Ist sie tragfähig genug, auch neben Vollzeitjob weiterzumachen, auch wenn die Diss für den Berufseinstieg keine Rolle mehr spielt, und vielleicht auch für deine weitere Karriere eher irrelevant ist? Das wäre die "große" Entscheidung.

Dann zur aktuellen Situation: Im letzten Jahr war bei dir sehr viel los. Kein Wunder also, dass die Diss keinen Platz hatte. Vielleicht ist der Moment noch nicht gekommen, dich wieder an die Diss zu setzen, und du verlangst gerade zu viel von dir selbst? Bist du wirklich schon ausreichend zur Ruhe und im neuen Alltag angekommen? Gib dir doch noch den Sommer diss-frei, setz dir einen Termin, der sich für dich aus heutiger Sicht gut anfühlt, und setz dich erst dann wieder ran. Bis dahin muss die Diss ruhen, ohne schlechtes Gewissen! Für mich klingt es so, als sei dein Kopf noch nicht wieder bereit, also quälst du dich jetzt unnötig mit der Diss.

Wie du aus diesem Tief wieder rauskommst? Sei milde mit dir selbst und akzeptiere, dass die Diss im Moment keinen Platz in deinem Leben hat. Lass ein bisschen mehr Zeit verstreichen, aber nutz die Gelegenheit auch, dich in Bezug auf das Projekt grundsätzlich neu aufzustellen. Wenn du dann noch willst und der Kopf frei ist, kommst du auch wieder rein.

Und was die mangelnde Betreuung angeht: Versuch doch mal (dann, wenn es soweit ist), mehr Betreuung einzufordern! Das würde ich rückblickend heute definitiv so machen; mein Doktorvater und ich haben uns gegenseitig ziemlich in Ruhe gelassen, was aus heutiger Sicht keine gute Idee war. Ich denke schon, dass viele Profs bereit sind, ein bisschen aktiver zu werden, wenn man es explizit einfordert. Sonst bliebe immer noch die Möglichkeit eines Betreuerwechsels.

Alles Gute! :blume:
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Re: Externe Promotion und Corona-Frust

Beitrag von kognitiv »

"mehr Betreuung einzufordern!" Sorry... da wäre ich vorsichtig. Die Ansichten gehen da weit auseinander. Punkt ist, dass der Prof. Deine Wissenslücken nicht füllen muss und es auch nicht machen wird. Du hast einen Prof. gefunden!!! Als Externer... das ist schon super. Aber was kannst Du machen?
Schau Dir Arbeiten an die der Prof betreut hat, so könntest Du vorgehen. Schau Dir Veröffentlichungen an ... Es gibt Summer schools da wird einiges vermittelt.

Ja eine Diss zu schreiben ist ein Erlebnis ...
Du hast schonmal einen Prof.!!!! Andere suchen Jahre ... besonderst als Externer. Andere nehmen keine Externe, aus welchen Grund wohl ...
Wenn Du schon jetzt ans aufgeben denkst, wird es schwierig. Dieser Gedanke wird Dir in Deiner Promotion oft begegnen ... Ob Du die Promotion brauchst, weißt Du heute noch nicht ... Ausrede? Antwort kennst Du, ich auch :D

Es mag komisch klingen ... eine erfolgreiche Diss. ist eine Lebensleistung.

Also Kopf hoch! Negative Gedanken kannst Du nicht gebrauchen, die darfst Du gern anderen überlassen.

Viel Erfolg
Wierus
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Re: Externe Promotion und Corona-Frust

Beitrag von Wierus »

kognitiv hat geschrieben: ↑22.07.2021, 09:00 "mehr Betreuung einzufordern!" Sorry... da wäre ich vorsichtig. Die Ansichten gehen da weit auseinander.
Das stimmt. Ich würde sogar behaupten: Zu viel Betreuung ist tendenziell schlimmer als zu wenig Betreuung, das insbesondere im Hinblick auf die Kerninhalte der Promotion als der Ausbildung zum selbständigen Wissenschaftler (w/m/d).

Mehr individuelle Betreuung kann außerdem ernste persönliche Konflikte mit dem DV/der DM heraufbeschwören, ebenso zu (sinnlosen) Deadlines für Textproben oder zu Extra-Aufgaben führen.

Deshalb auch von mir ein großes "Vorsicht!" an dieser Stelle.
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Re: Externe Promotion und Corona-Frust

Beitrag von Florina »

Ich glaube, dass es eine riesige Spanne zwischen allein und zu viel Betreuung gibt. Wöchentliche Meetings über mehrere Stunden, "auf die Finger schauen", das ist tatsächlich schrecklich. Aber wenn ein DV/eine DM sowieso nicht zur Betreuung neigt, wird das niemals passieren.
Aber vielleicht bin ich da zu naiv. Ich kenne halt die andere Variante und muss damit umgehen lernen, da man seine DM/ seinen DV einfach nicht mehr ändern kann.
Man muß daran glauben, für eine bestimmte Sache begabt zu sein, und diese Sache muß man erreichen, koste es, was es wolle. - Marie Curie
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Re: Externe Promotion und Corona-Frust

Beitrag von FerdiFuchs »

"Einfordern" ist ein kontroverser Begriff. Man kann sicherlich den Vorschlag machen, die Frequenz der Betreuungsgespräche zu erhöhen, insbesondere mit einem konkreten Vorschlag über die gewünschte Häufigkeit, z.B. einmal pro Woche oder zweimal pro Monat.

Regelmäßige Meetings sind sinnvoll nicht um "Wissenslücken zu füllen", sondern um die Arbeit zu strukturieren. Zu jedem nächsten Meeting sollte es ein paar konkrete To-Dos geben, über deren Ergebnisse man dann im Meeting diskutieren kann.
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Re: Externe Promotion und Corona-Frust

Beitrag von FerdiFuchs »

Wierus hat geschrieben: ↑22.07.2021, 11:23 Das stimmt. Ich würde sogar behaupten: Zu viel Betreuung ist tendenziell schlimmer als zu wenig Betreuung, das insbesondere im Hinblick auf die Kerninhalte der Promotion als der Ausbildung zum selbständigen Wissenschaftler (w/m/d).
Die Idee einer Ausbildung schließt ein, dass man am Anfang des Ausbildungszeitraums noch nicht da steht, wo man am Ende ankommen will.

In den ersten beiden Jahren sind die Betreuungsbedürfnisse unterschiedlicher Doktoranden sehr breit gestreut. Ein guter Betreuer zeichnet sich dadurch aus, dass er auf unterschiedliche Bedürfnisse flexibel eingehen kann.

Erst im dritten und insbesondere vierten Jahr der Promotion sollte sich das mit dem Händchenhalten langsam erledigt haben.
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Re: Externe Promotion und Corona-Frust

Beitrag von Wierus »

FerdiFuchs hat geschrieben: ↑27.07.2021, 11:05
Wierus hat geschrieben: ↑22.07.2021, 11:23 Das stimmt. Ich würde sogar behaupten: Zu viel Betreuung ist tendenziell schlimmer als zu wenig Betreuung, das insbesondere im Hinblick auf die Kerninhalte der Promotion als der Ausbildung zum selbständigen Wissenschaftler (w/m/d).
Die Idee einer Ausbildung schließt ein, dass man am Anfang des Ausbildungszeitraums noch nicht da steht, wo man am Ende ankommen will.
Das stimmt zwar, ich verstehe den Hinweis an dieser Stelle jedoch nicht ganz. Denn will man einen Meisterbrief erwerben, gilt es doch in vielen Handwerksberufen, ein "Meisterstück" abzuliefern. Dieses fertigt man ohne fremde Hilfe an.

Das trifft m.E. vollumfänglich (und in vielen Fachbereichen sogar in verschärfter Form) auf die Anfertigung einer Dissertation zu.

Und ja, eingerahmt wird das Promotionsverfahren von Themenfindung/Expose und Disputation. Da gehen wir d'accord.
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Re: Externe Promotion und Corona-Frust

Beitrag von FerdiFuchs »

Wierus hat geschrieben: ↑27.07.2021, 16:29 Das stimmt zwar, ich verstehe den Hinweis an dieser Stelle jedoch nicht ganz. Denn will man einen Meisterbrief erwerben, gilt es doch in vielen Handwerksberufen, ein "Meisterstück" abzuliefern. Dieses fertigt man ohne fremde Hilfe an.
Das Meisterstück wird am Ende der Meisterausbildung angefertigt, während die Arbeit an der Dissertation (zumindest in Deutschland) an Tag 1 des Promotionszeitraums beginnt. Zu diesem Zeitpunkt ist nicht davon auszugehen, dass der Doktorand ein selbstständiger Wissenschaftler ist.

Klar kann kann man als Betreuer trotzdem einen Ansatz fahren, der bereits von Tag 1 der Promotion maximale Selbstständigkeit voraussetzt ("sink or swim"). Machen ja viele Professoren so. Führt dann halt in vielen Fällen zu einem ineffizienten Vorgehen, einem Stochern im Nebel, vergeudeter Lebenszeit und abgebrochenen Promotionen. Im besten Fall sucht sich der Doktorand einen geeigneteren Betreuer.
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Re: Externe Promotion und Corona-Frust

Beitrag von Wierus »

FerdiFuchs hat geschrieben: ↑27.07.2021, 18:46Das Meisterstück wird am Ende der Meisterausbildung angefertigt, während die Arbeit an der Dissertation (zumindest in Deutschland) an Tag 1 des Promotionszeitraums beginnt. Zu diesem Zeitpunkt ist nicht davon auszugehen, dass der Doktorand ein selbstständiger Wissenschaftler ist.
Ja, richtig. Allerdings ist das bloße Vorhandensein eines DV/einer DM für den Fall größerer Probleme, ebenso der freie Zugang zu Unibibliothek und zum Seminarangebot der Graduiertenschule, durchaus so etwas wie eine permanent ausgestreckte Hand. Und der Schutz durch die Bestimmungen der Promotionsordnung wirkt wie eine Art wärmender Mantel (bzw. wie eine psychische Krücke über die Jahre des Haderns). Das ist in der Summe noch keine wirkliche Selbständigkeit.

Ich will hier nicht für eine "betreuungsfreie" Promotion argumentieren, aber wenn nach dem ersten Jahr immer noch regelmäßig jeden Monat Sitzungen mit dem DV/der DM anstehen, um das weitere inhaltliche Vorgehen zu koordinieren, dann läuft in meinen Augen etwas sehr, sehr falsch (das natürlich ausgenommen aller Dissertation auf Grundlage von Laborversuchen und ähnlich ressourcenaufwendigen Studien).
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