Fehler in fremden Dissertationen gefunden - wie verhalten?

Falke
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Fehler in fremden Dissertationen gefunden - wie verhalten?

Beitrag von Falke »

Hallo,

nachdem ihr mir hier so toll aus meinem Motivationstief geholfen habt, habe ich eine weitere Frage, die der Titel schon umreißt.

Folgende Situation: Ich lese gerade viele Dissertationen in meiner interdisziplinären Thematik, um zu schauen, wie andere das Thema angegangen haben und finde dabei viel schlechte Arbeit, von kleinen Fehlcherchen bis zu vielen Fehlern, die sich sogar zu einem falschen Fazit summieren. Die Fehler beruhen darauf, dass die Autoren alle aus einem Fachgebiet kommen und anscheinend auch nur auf diesem Gebiet betreut und geprüft wurden, der "fachfremde" interdisziplinäre Teil hingegen wurde sehr stiefmütterlich behandelt (und von Prüfern und Betreuern offenbar auch ignoriert, weil eben nicht deren Gebiet).

Wenn ich diese Publikationen in meinem Forschungsstand erwähne, spreche ich das an oder lasse ich das lieber ruhen? Meine Ergbnisse werden nämlich widersprüchlich zu den anderen sein. Und wie geht man sonst damit um?
flip
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Re: Fehler in fremden Dissertationen gefunden - wie verhalten?

Beitrag von flip »

Gegenfrage: Warum zitierst du fehlerhafte Dissertationen überhaupt?
johndoe
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Re: Fehler in fremden Dissertationen gefunden - wie verhalten?

Beitrag von johndoe »

Falke hat geschrieben: ↑22.06.2020, 15:46
Wenn ich diese Publikationen in meinem Forschungsstand erwähne, spreche ich das an oder lasse ich das lieber ruhen? Meine Ergbnisse werden nämlich widersprüchlich zu den anderen sein. Und wie geht man sonst damit um?
Wie Flip schon sagte - wenn sie wirklich fehlerhaft sind, gibt es keinen Grund sie als Quelle heranzuziehen. Die Frage ist natürlich, ob es buchstäblich Fehler sind (Rechenfehler etc., wie Eisenanteil im Spinat) oder ob eine Arbeit (aus deiner Sicht) Schwächen hat (methodisch, argumentativ etc.) oder ob (aus deiner Sicht) Aspekte in der Betrachtung fehlen, wodurch die Ergebnisse von deinen Erwartungen abweichen. Die letzten beiden Varianten sehe ich nicht als "Fehler", sondern eher das Ergebnis abweichender Standpunkte. Im technischen Umfeld ist es aus meiner Sicht schwierig, einen Fehler rein aus der Arbeit zu erkennen. Dafür müsste man i.d.R. Experimente wiederholen bzw. auf die Rohdaten zugreifen. Insofern wäre es interessant, was für dich Fehler sind und wie du auf diese Fehler beim bloßen Lesen gekommen bist.

Übrigens: Dass sich Forschungsergebnisse widersprechen bzw. gegenseitig korrigieren und damit eine Disziplin weiterentwickeln, gehört praktisch dazu - siehe aktuell in der Corona-Forschung. Dazu gehört, dass die Arbeiten anderer Forscher kritisch beäugt werden. Wenn du als aus deinem Standpunkt heraus anders an ein Thema rangehen würdest, kannst du eine andere Arbeit entsprechend kritisieren. Aber wie gesagt - das ist kein Fehler.
Wierus
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Re: Fehler in fremden Dissertationen gefunden - wie verhalten?

Beitrag von Wierus »

Die Frage, warum man fehlerhafte Dissertationen zitiert ist ehrlich gesagt ziemlich irritirend und eigentlich unsinnig. Dazu meine "Gegen-Gegenfrage": Vielleicht, weil es zu bestimmten Themen zu wenig Literatur außerhalb des engen Feldes von Hochschulschriften gibt? Und ja, zu manchen Fragen gibt es nicht einmal innerhalb des akademischen Bereiches genug Literatur.

Natürlich kann/soll/muss man fehlerhafte Dissertationen zitieren, das umso mehr, je relevanter sie für die eigene Fragestellung sind! Im Prinzip enthält jede Dissertation Fehler, mindestens Rechtschreibfehler. Sind die jeweiligen Fehler gar thematischer Art, können sie - und sollten sie - genauer diskutiert werden. Das inbesondere dann, wenn man sich wirklich sicher ist, einen gravierenden Fehler gefunden zu haben. Allerdings sollte man dabei immer wohlwollend argumentieren und auf keinen Fall herablassend urteilen.

Natürlich ist es außerordentlich unvorteilhaft, direkten Kollegen oder Professoren an der eigenen Universität ans Bein zu pinkeln, aber so rein nach wissenschaftlicher Redlichkeit und nach den Regeln wissenschaftlichen Arbeitens spricht alles dafür.

Lass dir also keinen Quatsch erzählen. :?
Falke
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Re: Fehler in fremden Dissertationen gefunden - wie verhalten?

Beitrag von Falke »

Erst einmal Danke für eure Antworten!

Zum einen zitiere ich diese Arbeiten nicht, sondern ich muss sie im Forschungsstand erwähnen, weil es in diesem Fachgebiet leider nur diese paar Dissertationen gibt (und nichts anderes). Das Ganze ist ziemlich klein und speziell.

Zum anderen die Problematik, ich gebe mal ein fiktives Beispiel:
Sagen wir, das Thema ist "Realitätsnahe Darstellung des Automobils in englischer Prosa des 21. Jahrhunderts". Über dieses Thema schreibt nun Max Muster, Germanist. Beim Lesen bekommt man nun aber leider das Gefühl, dass Max Muster ein guter Germanist ist, aber noch nie in seinem Leben ein Auto gesehen hat, vom Hören-Sagen vielleicht gerade so den Unterschied zwischen einem PKW und einem LKW kennt. Deshalb kann er schlecht einschätzen, ob Autos in englischer Prosa realitätsnah beschrieben werden, aber er versucht es trotzdem und kommt dadurch natürlich zu völlig verqueren Ergebnissen. Seine Betreuer und Prüfer, alle Germanisten, haben vermutlich nur auf gute Argumentation und Stil geachtet und nicht gemerkt, dass ein Porsche keine 9 Türen hat. :D

Den anderen Germanisten ging es genau so. Nur eine Diss ist von einem Automechaniker geschrieben, die ist klasse... :P

Jetzt überlege ich eben, wenn ich die Arbeiten erwähne, dazu in blumigen Worten zu sagen, dass ich die Arbeiten für schlecht halte, weil der fachliche Hintergrund völlig fehlt. Ich behandle nämlich fast genau die gleiche Forschungsfrage und rechtfertige mich deshalb, es nochmal zu machen, weil es noch nicht richtig gemacht wurde.
flip
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Re: Fehler in fremden Dissertationen gefunden - wie verhalten?

Beitrag von flip »

Wierus hat geschrieben: ↑22.06.2020, 20:09 Die Frage, warum man fehlerhafte Dissertationen zitiert ist ehrlich gesagt ziemlich irritirend und eigentlich unsinnig. Dazu meine "Gegen-Gegenfrage": Vielleicht, weil es zu bestimmten Themen zu wenig Literatur außerhalb des engen Feldes von Hochschulschriften gibt? Und ja, zu manchen Fragen gibt es nicht einmal innerhalb des akademischen Bereiches genug Literatur.
Naja, das würde jetzt bedeuten, dass die fehlerhafte Dissertation selber keinerlei Literatur verwendet, die man nicht stattdessen zitieren könnte (um dann nur sehr grob auf die fehlerhafte Diss zu Thema XY hinzuweisen)...?

Also, in der Anwendung:
Falke hat geschrieben: ↑22.06.2020, 22:53 Zum anderen die Problematik, ich gebe mal ein fiktives Beispiel:
Sagen wir, das Thema ist "Realitätsnahe Darstellung des Automobils in englischer Prosa des 21. Jahrhunderts". Über dieses Thema schreibt nun Max Muster, Germanist. Beim Lesen bekommt man nun aber leider das Gefühl, dass Max Muster ein guter Germanist ist, aber noch nie in seinem Leben ein Auto gesehen hat, vom Hören-Sagen vielleicht gerade so den Unterschied zwischen einem PKW und einem LKW kennt. Deshalb kann er schlecht einschätzen, ob Autos in englischer Prosa realitätsnah beschrieben werden, aber er versucht es trotzdem und kommt dadurch natürlich zu völlig verqueren Ergebnissen. Seine Betreuer und Prüfer, alle Germanisten, haben vermutlich nur auf gute Argumentation und Stil geachtet und nicht gemerkt, dass ein Porsche keine 9 Türen hat. :D
Du erwähnst die Diss von Max Muster und sein Thema, vermeidest aber jegliche, inhaltliche Auseinandersetzung.
Zuletzt geändert von flip am 23.06.2020, 00:32, insgesamt 1-mal geändert.
Wierus
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Re: Fehler in fremden Dissertationen gefunden - wie verhalten?

Beitrag von Wierus »

Falke hat geschrieben: ↑22.06.2020, 22:53Jetzt überlege ich eben, wenn ich die Arbeiten erwähne, dazu in blumigen Worten zu sagen, dass ich die Arbeiten für schlecht halte, weil der fachliche Hintergrund völlig fehlt. Ich behandle nämlich fast genau die gleiche Forschungsfrage und rechtfertige mich deshalb, es nochmal zu machen, weil es noch nicht richtig gemacht wurde.
Genau diesen Fall, also dass man auf Dissertationen stößt, welche das jeweilige Thema auf eine (in den eigenen Augen zumindest) unzulängliche Weise behandeln, gibt es wirklich oft und es dürfte vielleicht sogar der Standard sein. War bei mir genauso, da bezog ich mich auf zwei Dissertationen, die in eine ähnliche Richtung gingen, aber eben nicht weit genug bzw. nicht wirklich erschöpfend zu mir wichtigen Punkten. Wenn das bei dir auch so ist, dann bring deine Kritik ganz offen und ehrlich ein - das ist astreine Wissenschaft!

Wovon ich allerdings ausdrücklich abrate ist, die Vorarbeiten schlecht aussehen zu lassen bzw. lächerlich zu machen. Selbst in "blumigen Worten" ist das unangebracht, allen voran in einer eigenen Qualifikationsschrift, deren Bewertung noch aussteht. Bedenke, diese Autoren haben dir letztlich die Chance eröffnet, ein Thema tiefer und besser zu behandeln, leisteten also dennoch eine gewisse Vorarbeit, auf der du konstruktiv aufbauen kannst. In meiner Dissertation etwa habe ich die 'kritisierten' Arbeiten immer als wichtige Beiträge vorgestellt, an deren Diskussion ich sozusagen direkt anschließe. Vielleicht kannst du das ja ähnlich handhaben?
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Re: Fehler in fremden Dissertationen gefunden - wie verhalten?

Beitrag von daherrdoggda »

Bei dem Beispiel koennte man zb schreiben:
Diese Thematik wurde bereits aus germanistischer Perspektive behandelt (Muster). Allerdings ist die maschinenbauliche Sicht von mindestens gleichwertiger Bedeutung, entsprechend liegt dort der Schwerpunkt meiner Arbeit.

Gerade bei nicht-exakten Gebieten, wo es nicht um Messwerte und Rohdaten geht, sondern um Interpretationen und Sichtweisen, kann man vermutlich relativ kritikfrei diskutieren, weil es nicht 'eine Wahrheit' gibt.
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Re: Fehler in fremden Dissertationen gefunden - wie verhalten?

Beitrag von johndoe »

Wierus hat geschrieben: ↑22.06.2020, 20:09 Natürlich kann/soll/muss man fehlerhafte Dissertationen zitieren, das umso mehr, je relevanter sie für die eigene Fragestellung sind! Im Prinzip enthält jede Dissertation Fehler, mindestens Rechtschreibfehler. Sind die jeweiligen Fehler gar thematischer Art, können sie - und sollten sie - genauer diskutiert werden. Das inbesondere dann, wenn man sich wirklich sicher ist, einen gravierenden Fehler gefunden zu haben. Allerdings sollte man dabei immer wohlwollend argumentieren und auf keinen Fall herablassend urteilen.
Mir fallen spontan folgende Gründe ein, eine Quelle heranzuziehen: 1) weil sie meine These unterstützt, 2) weil sie eine Schwäche/Lücke aufweist, die ich mit meiner Arbeit selbst schließe und 3) weil sich mehrere Arbeiten widersprechen und man so den Widerspruch herausstellt, den ich in meiner Arbeit auflöse. Dafür müssen die Arbeiten aber eine gewisse Qualität haben. Wenn eine Arbeit wirklich "falsch" ist (Daten gefälscht, plagiiert, Rechenfehler...), und mir das auch bewusst ist, dann sehe ich _rein für meine Diss_ keinen Vorteil, sie als Quelle heranzuziehen. Denn wenn ich mit der identischen Methodologie auf ein anderes Ergebnis komme, ist das zwar interessant, aber keine eigene wissenschaftliche, promotionsrelevante Leistung, weil die Methodologie nur "geliehen" ist.

Allerdings: zu argumentieren, dass Autor A mit Methodologie 1 auf folgendes Ergebnis kam, man das aber div. Gründen anzweifelt und deshalb Methodologie 2 anwendet, die man für die Diss selbst entworfen hat --> das ist ja ein klassischer Einstieg in ein Forschungsthema. Insofern alles gut, solange man eben neutral argumentiert.

Wierus hat geschrieben: ↑22.06.2020, 20:09 Natürlich ist es außerordentlich unvorteilhaft, direkten Kollegen oder Professoren an der eigenen Universität ans Bein zu pinkeln
Davon würd ich als Doktorand auch absehen.
Wierus hat geschrieben: ↑22.06.2020, 20:09 Lass dir also keinen Quatsch erzählen. :?
Und schon sind wir beim wissenschaftlichen Diskurs - nur weil der eine was sagt, was dem anderen nicht gefällt, ist es nicht gleich Quatsch. Passt doch ganz gut zum Thread.
Falke
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Re: Fehler in fremden Dissertationen gefunden - wie verhalten?

Beitrag von Falke »

Gestern fiel mir zu spät ein, dass ich ja einen Anglisten und keinen Germanisten meine :)
Wierus hat geschrieben: ↑23.06.2020, 00:32 Wovon ich allerdings ausdrücklich abrate ist, die Vorarbeiten schlecht aussehen zu lassen bzw. lächerlich zu machen. Selbst in "blumigen Worten" ist das unangebracht, allen voran in einer eigenen Qualifikationsschrift, deren Bewertung noch aussteht. Bedenke, diese Autoren haben dir letztlich die Chance eröffnet, ein Thema tiefer und besser zu behandeln, leisteten also dennoch eine gewisse Vorarbeit, auf der du konstruktiv aufbauen kannst. In meiner Dissertation etwa habe ich die 'kritisierten' Arbeiten immer als wichtige Beiträge vorgestellt, an deren Diskussion ich sozusagen direkt anschließe. Vielleicht kannst du das ja ähnlich handhaben?
Genau das trifft meine Eingangsfrage, Danke!

flip hat geschrieben: ↑23.06.2020, 00:29 Du erwähnst die Diss von Max Muster und sein Thema, vermeidest aber jegliche, inhaltliche Auseinandersetzung.
So könnte man es auch lösen. Ich muss mal schauen, wie lang der Forschungsstand wird, vielleicht komme ich dann gar nicht zur inhaltlichen Auseinandersetzung wie oben vorgeschlagen.
daherrdoggda hat geschrieben: ↑23.06.2020, 06:29 Bei dem Beispiel koennte man zb schreiben:
Diese Thematik wurde bereits aus germanistischer Perspektive behandelt (Muster). Allerdings ist die maschinenbauliche Sicht von mindestens gleichwertiger Bedeutung, entsprechend liegt dort der Schwerpunkt meiner Arbeit.

Gerade bei nicht-exakten Gebieten, wo es nicht um Messwerte und Rohdaten geht, sondern um Interpretationen und Sichtweisen, kann man vermutlich relativ kritikfrei diskutieren, weil es nicht 'eine Wahrheit' gibt.
Auch für diesen Vorschlag vielen Dank!

Ich war beim Lesen der Arbeiten einfach enttäuscht, wie man die interdisziplinäre Thematik so ausblenden, ja ignorieren kann, zumal es auch wirklich kein Trockenes Sachgebiet ist. Und als mir auch noch auffiel, dass ich über die Existenz dieser Arbeiten sprechen muss, dachte ich: Oh Gott, wie lege ich da nicht oder, wenn doch, sachlich rein, dass ich das völlig unzureichend gelöst finde?

Also noch mal Danke für die Hilfe :blume:
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