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Fragen zur wissenschaftlichen Methodik

Verfasst: 23.11.2018, 08:50
von Schreiber407
Hallo,

ich promoviere nun schon seit einiger Zeit und tue mich allgemein sehr schwer mit dem Zusammenschreiben. Ich bin Ingenieur und auch im Bereich der Ingenieurwissenschaften unterwegs. Meine Arbeit behandelt ein Gewerk der Automobilindustrie und wie dort eine Anforderung frühzeitig berücksichtigt werden kann.
Hierzu habe ich zunächst den Stand der Technik beschrieben - Wie wird heutzutage im untersuchten Gewerk gearbeitet und warum wird die Anforderung nicht so berücksichtigt, wie sie eigentlich sollte
Danach habe ich den Stand der Forschung aufgenommen und Kritik daran geübt, Ergebnis ist, dass es keine individuellen Daten oder Methoden für mein untersuchtes Gewerk bzgl. der Anforderung gibt. (natürlich alles mit Quellen belegt)
Danach habe ich die Methoden herangezogen die ich innerhalb des Kapitels "Stand der Forschung" identifiziert habe, und zudem Weitere, die ich zudem als hilfreich ansehe und subjektiv potential bieten.
Ergebnis ist, dass viele Methoden die frühe Phase nicht ausreichend unterstützen, viele Entscheidungen erst noch erfolgen müssen, da die frühe Phase eine hohe Unschärfe mit sich bringt. (Metapher: Wir wollen in den Urlaub fahren, es soll irgendwo ans Meer)
Zwischenfazit ist, dass es kaum Daten für die Anforderung und kaum individuelle Prozesse für das untersuchte Gewerk gibt. Zudem existieren x Anforderungen, die oftmals als durchaus wichtiger bewertet werden als die von mir untersuchte Anforderung.
Ich sorge hierauf aufbauend dafür, dass ich zunächst die fehlenden Daten aufnehme und die bereits bestehenden Methoden kombinieren, um einen individuellen Prozess für das Gewerk aufzubauen. Ich kläre Fragen, die offen sind und setze einen Demonstrator um, um die Methoden zu evaluieren. Hierbei fiel mir auf, dass der Demonstrator angreifbar ist und nicht "die Weisheit letzter Schluss" ist aber eine erste Ausgangsbasis bietet. Nun möchte ich diese Punkte, die ich nicht lösen konnte als Ergebnisse meiner Arbeit präsentieren als "Herausforderungen bei der Integration der Anforderung in die frühe Phase" und gebe dann im Ausblick Möglichkeiten der Weiterführung, Anpassung der Methoden und der Schaffung einer Datenbasis.

Nun bekam ich nach der Rücksprache meines Professors die Aussage, dass (leicht abgeändertes Zitat) der "Aufbau eines Demonstrator und das anschließende auswerten methodisch fragwürdig ist, solange ich nicht wissenschaftlich ableiten kann, dass dieses Vorgehen methodisch evaluiert ist. Anderenfalls müsste ich es tun."

Nun frage ich mich nach welchem Regularium so eine Aussage getroffen wird. Ich tue mich leider sehr schwer zu erfassen, was in meinem Bereich wirklich ein wissenschaftliches Vorgehen darstellt. Klar, empirische Befragungen etc. kann ich machen, bringt mich aber nicht weiter. Kann mir vielleicht jemand Schützenhilfe leisten und mir sagen was mir mein Prof schon versucht seit mehreren Jahren zu sagen und wie ich das - was ich bisher gemacht habe in ein wissenschaftlich anerkanntes Vorgehen verändern kann? Ich weiß, es ist nicht die feine Art das auf diesem Wege zu tun aber ich habe bisher einen langen Leidensweg hinter mir mit unterschiedlichen Themen, abgebrochenen Projekten, mehreren konkurrierenden Forschungsinstanzen und indirekter Kommunikation mit dem Professor. Weitere Aussage von meinem Professor ist: "Es ist alles richtig was Sie gemacht haben, sie müssen es jetzt nur noch in ein wissenschaftliches Vorgehen gießen...." :cry:

Re: Fragen zur wissenschaftlichen Methodik

Verfasst: 25.11.2018, 14:22
von jimpanse
Ohne jetzt groß Ahnung von deinem Bereich zu haben, liest es sich für mich so, als ob dein Prof dir sagen will, dass du deinen Demonstrator evaluieren musst.

Der Demonstrator dient doch als Simulator/Surrogat des praktischen Ablaufs in der Industrie, oder? Dann muss diese Simulation natürlich wissenschaftlich sinnvoll evaluiert bzw. verifiziert werden, um die Ergebnisse der einzelnen Methoden interpretieren zu können.

Re: Fragen zur wissenschaftlichen Methodik

Verfasst: 25.11.2018, 21:18
von BieneSumSum
Nun bekam ich nach der Rücksprache meines Professors die Aussage, dass (leicht abgeändertes Zitat) der "Aufbau eines Demonstrator und das anschließende auswerten methodisch fragwürdig ist, solange ich nicht wissenschaftlich ableiten kann, dass dieses Vorgehen methodisch evaluiert ist. Anderenfalls müsste ich es tun."
Dein Prof hat völlig Recht.
Ich kenne mich zwar im Bereich der Ingenieurwissenschaften zu wenig aus, um über die üblichen wissenschaftlichen Herangehensweisen urteilen zu können, denke aber, dass es bestimmte Kriterien gibt, die interdisziplinär zu beachten sind.

Bei uns in der gestaltungsorientierten Wirtschaftsinformatik gibt es den sogenannten Ansatz des "Design Science Research (DSR)", bei dem die Entwicklung von Artefakten (Modelle, Frameworks, Instanzen, Prototypen etc.) im Mittelpunkt steht. Soviel ich weiß, ist der DSR Ansatz sogar aus dem Bereich "Engineering" entliehen, müsste Dir also somit ebenfalls bekannt sein (Ansonsten einfach mal Recherche betreiben und Dir die Grundlagenliteratur dazu durchlesen (Hevner, Peffers, Pries-Heje,..)).

Nach dem DSR Ansatz entwickelt man ein Artefakt, um ein relevantes Problem aus der Praxis zu lösen. Dies könnte (so wie bei Dir geschehen), auf Literaturbasis, anhand selbst erhobener Daten oder sonst wie erfolgt sein. Anschließend MUSS man dieses Artefakt aber auch evaluieren, um die Funktionalität und Praxistauglichkeit zu demonstrieren und dieses dann iterativ weiterzuentwickeln. Mit dieser Evalauierung belegst Du, dass Dein Artefakt funktioniert, oder eben nicht funktioniert. Es ist ein sehr wichtiger Schritt und kann nicht weggelassen werden.

Du könntest also z.B. Deinen Demonstrator evaluieren, indem Du diesen im Rahmen einer oder am besten mehrerer realer Fallstudien einsetzt, die Leute dabei beobachtest, Workshops dazu veranstaltest, Experteninterviews machst, die Anwendung im Rahmen von Simulationen ausprobierst etc. Es gibt hierfür eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten.

Kurzes Beispiel:
Entwicklung eines Modells zur Wirtschaftslichkeitsbetrachtung von Mittagsschläfchen in der Unternehmenspraxis
Schritt 1: Problemdefinition, Literaturstand, Verwandte Arbeiten
Schritt 2: Entwicklung des Modells
Schritt 3: Evaluierung des Modells(z.B. mittels einer Simulation mit realen Unternehmensdaten im Rahmen einer Fallstudie, Befragung von Experten, Experimente etc.)
Schritt 4: Weiterentwicklung des Modells auf Basis der Evaluierungsergebnisse
Schritt 5: Ergebnispräsentation und Diskussion

Schritt 2, 3 und 4 sind als iterativ zu betrachten.

Ich würde Dir empfehlen, Grundlagenliteratur aus Deiner Disziplin dazu durchzulesen und Deine methodische Vorgehensweise nochmal grundlegend zu überarbeiten.
Viel Erfolg!

Re: Fragen zur wissenschaftlichen Methodik

Verfasst: 27.11.2018, 06:52
von Schreiber407
Interessant, das wirft ein ganz anderes Licht auf mein Problem. ich habe ihn immer so verstanden das meine Vorgehensweise durch Nutzung des Demonstrators einfach nicht wissenschaftlich ist. Ich glaube das Problem zwischen meinem Prof. und mir ist leider immer die Kommunikation und das ich seine Aussagen nicht richtig deuten kann. Vielleicht auch durch mangelndes "Methodenwissen".

Ich werde mir nochmal die Grundlagen zu Gemüte führen... Eure Antworten (insbesondere das Schlagwort DSR) haben sehr geholfen! Danke!