Paraphrasieren, plagiieren und all die Grauzonen...

Jarlheinz

Paraphrasieren, plagiieren und all die Grauzonen...

Beitrag von Jarlheinz »

Hallo Gemeinschaft!

Seit kurzem gehöre ich auch zum Kreis der Doktoranden - und nun ergibt sich mir ein Problem: bisher ging ich davon aus, dass das umformulieren einer Stelle aus der Sekundärliteratur genüge, dass es nicht als "Zitat" zu kennezeichnen sei, sondern als Paraphrase durchgehen würde, Fußnote mit Literatur natürlich nicht vergessen. JETZT hab ich aber erfahren, dass dem überhaupt nicht so ist (hab ich im Studium auch nie kommuniziert bekommen bzw. wurde in keiner Seminar-, auch nicht in Bachelor- oder Masterarbeit kritisiert) und bin entsprechend eingefahren. Um mal ein fiktives Beispiel zu geben, wie ich es meine:

Zitat: "Um ein Wildschwein zu erlegen, pirsche man sich gegen die Windrichtung an, wähle die vom Kaliber passende Büchse und schieß ihm zwischen die Äuglein; danach zieh ihm das Fell ab und lass das Fleisch gut abhängen." (Müller 2003, S. 28)

KEINE Paraphrase (offenbar), wie ich es aber bislang getan hätte: Bei der Jagd auf ein Wildschein gilt es darauf zu achten, sich gegen den Wind anzuschleichen und es mit der angemessenen Waffe durch einen gezielten Schuss zwischen die Augen zu erlegen; danach können das Fell abgezogen und das Fleisch zum Abhängen aufgehangen werden. (Müller 2003, S. 28)

Das ist dann umformuliert, nicht die Worte des Autors verwendet... aber anscheinend doch derselbe Gedankengang, Reihenfolge etc.

Paraphrase, wie sie offenbar sein soll, wenn ich es Recht verstehe: Die Jagd auf ein Wildschwein gestaltet sich recht einfach; wenn man einige waidmännische Grundregeln beachtet, [so Müller,] kann man schon bald Fell und Fleisch weiterverarbeiten. (Müller 2003, S. 28)

Vermutlich war mein Beispiel jetzt auch ziemlich misslungen, aber: war fürchte ich immer ziemlich textnah, da das aber offenbar niemanden gestört hat und auch keine Abzüge für gab, hat sich das bei mir ziemlich eingeschliffen. Nur: Für die Dissertation kann bzw. will ich das jetzt nicht bringen; selbst wenn am Ende der Prof genau so genau korrigiert und alles passt, fällt mir das am Ende sicherlich mal auf die Füße :/

Wie kann ich jetzt lernen, es richtiger zu machen? War schon in diversen Schreibgruppen, -beratungen etc. aber so wirklich weitergeholfen hat es nicht.
Wierus
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Re: Paraphrasieren, plagiieren und all die Grauzonen...

Beitrag von Wierus »

Wo ist das Problem? Dein erstes Beispiel ist doch - offenkundig - viel zu nah am Originaltext. Du suggerierst dem Leser, dass der gesamte Gedankengang von dir verarbeitete Information ist, die man zum Teil bzw. ähnlich auch bei Müller lesen könnte. Dabei verhält es sich genau anders herum - du hälst dich zu 95% an Müller.

Wenn man ein Vollzitat vermeiden möchte, macht es häufig Sinn, mit Zitat-Einschüben zu arbeiten. Beispiel:
Wie Müller empfiehlt, sollte ein Jäger sich immer möglichst "gegen den Wind anschleichen" und dann "genau zwischen die Äuglein zielen", um an Fleisch und Fell des Wildschweins zu gelangen.³
Zuletzt geändert von Wierus am 05.10.2017, 12:23, insgesamt 2-mal geändert.
JohnvanConnor

Re: Paraphrasieren, plagiieren und all die Grauzonen...

Beitrag von JohnvanConnor »

Das Zauberwort ist Empathie! Man muss die Perspektive eines potentiellen Lesers einnehmen und sich fragen, inwieweit der Nachweis von fremden Gedanken missverständlich sein könnte. In Deinem Beispiel Nr. 1: hier könnte man denken, der Nachweis würde sich nur auf den letzten Teil des Satzes beziehen: Fell abziehen, Fleisch abhängen also. Es könnte auch der Eindruck entstehen – geschickte Plagiatoren beherrschen so etwas – bei Müller 2003 würden sich lediglich noch weiterführende Informationen finden. Im Zweifelsfall kommt es darauf an, wie wichtig und originell die jew. Informationen/Gedanken sind. Wenn etwas sowieso in jedem Wikipedia-Artikel steht, kann man es auch eher beiläufig nachweisen. Ganz sicher geht man natürlich, wenn man der Ursprungsquelle im Haupttext eine eigene Formulierung widmet: Müller hat 2003 beschrieben, wie man mit Wildschweinen umzugehen hat: dann im Konjunktiv weiter. Die angemessene Gewichtung von Quellen/nachweisen ist sicher etwas, wofür man erst im Laufe der Zeit ein gespür entwickelt.
flip
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Re: Paraphrasieren, plagiieren und all die Grauzonen...

Beitrag von flip »

Das Problem, was man anfangs hat, ist, dass man den Text nicht mit genügend Abstand betrachtet. Soll heißen, man liest den Abschnitt, den man übernehmen möchte und beginnt, diesen Stück für Stück umzuformulieren. Dadurch passiert genau das, was du oben erwähnst.
Richtiger/Einfacher ist es, einen eigenen Text im größeren Kontext zu verfassen, in dem auch das gesagte vorkommt und auf das man dann indirekt verweist. Dafür muss man natürlich erst einmal die "Literatur auf sich wirken lassen" und nicht direkt anfangen.

Sowas lernt man mit der Zeit.
PhysNat

Re: Paraphrasieren, plagiieren und all die Grauzonen...

Beitrag von PhysNat »

Betrachtet man das Beispiel als Methodenbeschreibung, so wäre die erste Version:

„Bei der Jagd auf ein Wildschein gilt es darauf zu achten, sich gegen den Wind anzuschleichen und es mit der angemessenen Waffe durch einen gezielten Schuss zwischen die Augen zu erlegen; danach können das Fell abgezogen und das Fleisch zum Abhängen aufgehangen werden. (Müller 2003, S. 28)“

zumindest in einer Naturwissenschaft durchaus akzeptabel und absolut normal, da eine experimentelle Methodik so zu beschreiben ist, dass, sie nachvollziehbar umsetzbar ist und in diesem Fall hinreichend mit eigenen Worten formuliert ist.

Für diesen Fächerkomplex sehe ich kein Problem in dem Beispiel.
Sebastian
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Re: Paraphrasieren, plagiieren und all die Grauzonen...

Beitrag von Sebastian »

Ich kann die Verunsicherung gut nachvollziehen und frage mich für meinen Fachbereich (Jura) beim Mitlesen hier auch manchmal, ob dort die Meßlatte nach oben verschoben wurde.
So wie es bei Dir ein tatsächlicher Ablauf ist, den man sinnvollerweise chronologisch schildert, gibt es in der Rechtswissenschaft eingefahrene Prüfungsschemata und Definitionen, bei denen sich im Prinzip alle einig sind, so dass die Formulierungen auch mehr oder minder gleich sind. Fachlich ist das m.E. auch sehr wünschenswert, denn ein einheitlicher Sprachgebrauch erleichtert nun mal die Kommunikation - vor allem wenn es - wie bei häufig in Jura - gerade auf die Begrifflichkeiten und Abgrenzungen ankommt. Eigene Worterfindungen stören da nur.
Es scheint mir also auf das Fachgebiet anzukommen - welches ist Deines?

Sebastian
Wierus
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Re: Paraphrasieren, plagiieren und all die Grauzonen...

Beitrag von Wierus »

Sebastian hat geschrieben:ein einheitlicher Sprachgebrauch erleichtert nun mal die Kommunikation - vor allem wenn es - wie bei häufig in Jura - gerade auf die Begrifflichkeiten und Abgrenzungen ankommt. Eigene Worterfindungen stören da nur.
Also ich halte das für transdisziplinär. Eindeutige Begriffe und intersubjektiv nachvollziehbare Definitionen sind - über alle Disziplinen hinweg - wissenschaftlicher Standard und die Grundlage für jede fachliche Diskussion.

Ich denke, es geht hier nicht darum, zwanghaft neue Worte erfinden zu müssen, sondern lediglich um die Frage, wann ein Satz selbst formuliert werden muss. Ergo: Was ich zitiere, muss ich nicht umformulieren, was ich aber nicht zitiere, sollte eben nicht eins-zu-eins aus einem anderen Text stammen.

Das erklärt auch, warum z.B. so viele Leute schlecht auf das doch eigentlich so praktische Wikipedia zu sprechen sind.
PhysNat

Re: Paraphrasieren, plagiieren und all die Grauzonen...

Beitrag von PhysNat »

Wierus hat geschrieben:
Ich denke, es geht hier nicht darum, zwanghaft neue Worte erfinden zu müssen, sondern lediglich um die Frage, wann ein Satz selbst formuliert werden muss. Ergo: Was ich zitiere, muss ich nicht umformulieren, was ich aber nicht zitiere, sollte eben nicht eins-zu-eins aus einem anderen Text stammen.
Genau das ist mit dem ersten Beispiel des Thread-Herstellers gegeben, es unterscheidet sich hinreichend vorbereitet m Original, lässt aber weiterhin zu, die methodischen Schritte nachzuvollziehen.
Wierus
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Re: Paraphrasieren, plagiieren und all die Grauzonen...

Beitrag von Wierus »

PhysNat hat geschrieben:
Wierus hat geschrieben:
Ich denke, es geht hier nicht darum, zwanghaft neue Worte erfinden zu müssen, sondern lediglich um die Frage, wann ein Satz selbst formuliert werden muss. Ergo: Was ich zitiere, muss ich nicht umformulieren, was ich aber nicht zitiere, sollte eben nicht eins-zu-eins aus einem anderen Text stammen.
Genau das ist mit dem ersten Beispiel des Thread-Herstellers gegeben, es unterscheidet sich hinreichend vorbereitet m Original, lässt aber weiterhin zu, die methodischen Schritte nachzuvollziehen.
Ja, das stimmt. Aber das Beispiel bewegt sich in der Grauzone. Angenommen, er gibt eher Beiläufiges wieder, dann wäre es ok, aber wenn er so zentrale Thesen seiner Argumentation belegt, ohne darauf hinzuweisen, dass sie vollständig nur von dem anderen Autor stammen, dann wird das problematisch. Es gibt ja verschiedene Abstufungen des fehlerhaften Zitierens und man ist nicht sofort ein Plagiator, wenn einem so etwas hin und wieder passiert. Aber ein sauberes Arbeiten wäre es im letzteren Fall nunmal nicht. Ich glaube, es handelt sich um eine milde Form des Alibi-Plagiats.

Hierzu GuttenPlag:
Alibi-FußNote:

Ein formkorrektes Zitat, zu dem in einer Fußnote die Quelle angegeben ist, aber eine Distanz zum kopierten Text fehlt und dieser Text sich zueigengemacht wird, eigene Gedanken ersetzt oder zumindest nicht vorbereitet. Manchmal ist die Fußnote auch so angegeben, dass es aussieht, als beziehe sie sich nur auf einen Satz in der Mitte des Plagiats, während in Wirklichkeit die gesamte Passage absatzweise übernommen wurde. Typisch ist, dass kleinere, eigentlich ansonsten unwesentliche Formfehler verbleiben, wie fehlende Anführungszeichen oder fehlende Einrückung des zitierten Textes, die das Plagiat auch als solches entlarven würden, weil ganze Abschnitte nur aus Zitat bestünden. Bei der Kategorisierung von Plagiaten (Seiten und Fragmente) bitte zwischen Bauernopfer und verschärftem Bauernopfer unterscheiden!
Aber wie gesagt, wenn obige fehlerhafte Zitierweise lediglich vereinzelt und in zweitrangigen Argumentationsketten erscheint, wird es wohl kaum beanstandet. Zum einen, weil es ein leichtes Vergehen ist, zum anderen, weil es sehr wahrscheinlich nicht auffällt.
PhysNat

Re: Paraphrasieren, plagiieren und all die Grauzonen...

Beitrag von PhysNat »

Hmm, aus der aus "meinem" Fach gebräuchlichen Zitierweise sehe ich die "Grauzone" nicht, da doch eindeutig ist, woher die Informationen stammen (man könnte noch eine Seitenangabe ergänzen) und es ist keine wortwörtliche Übernahme, bis auf methodische Begriffe, die sich nur schwer nicht sinnentstellend ersetzen lassen.
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