Promotion noch nach der Verteidigung schmeissen?

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BarbaraSweden

Promotion noch nach der Verteidigung schmeissen?

Beitrag von BarbaraSweden »

Hallo!

Ich muss mir meinen Frust einfach mal von der Seele schreiben, unter anderem, weil ich einfach nicht mehr weiter weiss. Die vergangenen sieben Jahre habe ich in Chemischer Meteorologie an meiner Diss gearbeitet. Die Umstände waren extrem schwierig mit einer Doktormutter die so gut wie keine Betreuungsqualitäten hatte. Im Gegenteil, sie war teilweise kränkend und unberechenbar. Beispiel: wenn sie mir auf dem Korridor begegnet ist, hat sie einfach zur Seite geschaut anstatt zu grüssen. Kein positives feedback, wenig Unterstützung beim Schreiben von Publikationen (hier an der schwedischen Uni braucht man vier Artikel um zur Promotion zugelassen zu werden), nach Auslaufen meiner Institutsstelle keine Anschlussfinanzierung... ich habe überlebt weil mein Mann verdient. Ich habe mich im Nachhinein oft genug gefragt, warum ich nicht früher die Reissleine gezogen und den ganzen Kram hingeschmissen habe. Aber irgendwie wollte ich nicht klein beigeben, das hätte ich als Niederlage angesehen und habe daher weitergemacht.

Nach langem Kampf, ich war zwischendurch krank geschrieben weil ich Depressionen bekommen habe und total ausgebrannt war, habe ich es tatsächlich geschafft, die Arbeit zusammen zu schreiben und im Februar 2017 zu verteidigen. Die Verteidigung ist ziemlich gut gelaufen, aber danach bin ich total zusammengeklappt und ein paar Monate ging gar nichts mehr. Ich war total erschöpft und zu nichts mehr in der Lage, habe nur noch im Bett und auf dem Sofa gelegen und bin ab und zu mal an die frische Luft gegangen. Mittlerweile bin ich soweit wieder hergestellt, dass ich mich wieder einigermassen konzentrieren und lesen kann und langsam wieder in die Zukunft denke.

Jetzt habe ich meine Arbeit zwar verteidigt, mir fehlt aber noch ein Seminar, das ich zum Abschluss brauche. Diese Seminar muss ich noch halten, und das ist mein Problem. Ich bin nach der langen Diss so deprimiert und ohne Selbstvertrauen, dass ich eine Wahnsinnspanik davor habe, dieses Seminar zu geben. So, als ob ich noch nie eins gehalten hätte ... Mich interessiert das Thema auch nicht mehr sonderlich, ich habe Angst vor schwierigen Fragen, dass ich vorne stehe und nicht mehr weiter weiss - Panik deluxe also. Dazu kommt, dass ich bei uns am Institut eine ziemliche Aussenseiterin war, was das Thema angeht, und zu meinen Seminaren ohnehin nie besonders viele Leute gekommen sind (was auch nicht gerade motivierend war). Die ewigen Probleme mit meiner Betreuerin und die Doppelbelastung durch Kind/Familie haben leider auch dazu geführt, dass ich mich mehr und mehr zurückgezogen habe und letztlich kein Netzwerk am Institut mehr habe. Ich fühle mich also von daher noch mehr allein auf weiter Flur. Das geht jetzt soweit, dass ich morgens mit Herzklopfen aufwache, total gestresst bin und kaum zur Ruhe komme. Und ich überlege mir nun ernsthaft, ob es das ganze überhaupt wert ist. Meine Familie wird durch meinen Zustand ja auch in Mitleidenschaft gezogen und lange halte ich das nicht mehr durch. Soll ich die Arbeit schmeissen um endlich Ruhe zu haben? Für einen Aussenstehenden hört sich die Sache mit dem Seminar wie peanuts an, für mich ist es aber ein gewaltiger Berg, vor dem ich riesige Panik habe. Was würdet Ihr in meiner Situation machen?

Vielen lieben Dank fürs Lesen. Ich bin für jeden Kommentar dankbar!
Anne78
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Re: Promotion noch nach der Verteidigung schmeissen?

Beitrag von Anne78 »

Hallo BarbaraSweden,
das hört sich sehr belastend an. Ich kann sehr gut verstehen, dass Du das die Sache nicht wert findest, andererseits ist es eben "nur" noch ein Seminar, um die 7 Jahre, die Du in die Dissertation gesteckt hast, gewissermaßen in die Währung Doktortitel umzusetzen; und es wäre schon sehr schade, wenn es daran scheitert. Mir scheint, Du musst vor allem einen Weg finden mit der Panik fertig zu werden, egal ob Du das jetzt durchziehst oder nicht (tust Du es nicht, geht damit nicht unbedingt das Problem weg, denn dann spukt evtl. die Ungerechtigkeit des nicht erhaltenen Doktorgrads in Deinem Kopf herum).
Darum gleich meine erste Frage: Hast Du schon professionelle psychotherapeutische Beratung und ggf. Unterstützung ausprobiert? An Universitäten gibt es i.A. psychologische Beratungsstellen, die genau für derartige Problemlagen da sind; meistens ausschließlich für Studierende & Promovierende, aber zu letzteren zählst Du ja noch, solange die Promotion nicht ganz abgeschlossen ist.
Meine zweite Frage: Kannst Du irgendwie an der Stellschraube Seminar drehen? Muss das ein ganzes Semester lang gehen, oder ist auch eine Blockveranstaltung möglich? Gibt es die Möglichkeit, dass Du Dir jemanden zur Unterstützung mit rein holst? Muss es unter den Augen Deiner Doktormutter sein, oder könntest Du das z.B. auch an einer anderen Universität ableisten? Gibt es die Möglichkeit, sich ein schon gehaltenes Seminar anrechnen zu lassen? Vielleicht hilft ein Gespräch mit der/dem Promotionsbeauftragen Deiner Fakultät, um diese Dinge herauszufinden (falls noch nicht passiert).
In jedem Fall möchte ich Dir nahelegen, ein bisschen "outside the box" zu denken und alle Möglichkeiten zu prüfen, so dass Du Dich mit gutem Gefühl für das eine oder das andere entscheidest, und hinterher nicht von "was wäre wenn" Fragen heimgesucht wirst. Alles Gute :blume:
Zuletzt geändert von Anne78 am 01.09.2017, 06:57, insgesamt 1-mal geändert.
praktikum
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Re: Promotion noch nach der Verteidigung schmeissen?

Beitrag von praktikum »

Musst Du das Seminar ganz alleine veranstalten oder geht das auch mit jemandem zusammen? Vielleicht wäre das eine Option.
Ich sehe eigentlich nicht, was gegen ein Blockseminar spricht, außer vielleicht die deutliche Mehrbelastung für Dich.

Bei den psychologischen Beratungsstellen darfst Du nicht vergessen, dass Du eher handfeste Hilfe bei der Absolvierung der letzten Hürde brauchst.
Ich würde Dir auch dazu raten, entsprechende org. Hilfestellen für Studenten/Doktoranden zu suchen und dort Dein Problem zu schildern. So kurz vor Schluss möchte man die Menschen nicht unnötig scheitern sehen. Es spricht übrigens gar nichts dagegen, dass bei diesen Terminen jemand mitgeht. Verlieren kannst Du auch nichts, denn schlimmstenfalls musst Du es genauso alleine auf die Beine Stellen wie vorher.
Green Goddess

Re: Promotion noch nach der Verteidigung schmeissen?

Beitrag von Green Goddess »

Einige, aus meiner Sicht recht gute, Vorschläge kamen bereits, deshalb leiste ich mir den Luxus, aus der Ferne eine rein pragmatische Sichtweise einzunehmen.
Wie du selbst schreibst, hast du mögliche beste Gelegenheiten/Zeitpunkte, die Diss zu schmeissen, verstreichen lassen, also mach einfach weiter. ;)
Was mir nicht ganz (oder auch gar nicht) klar geworden ist: Wie wäre deine Stellung im fraglichen Seminar?
Teilnehmerin oder Leiterin bzw hältst du das Seminar ab oder hältst du einen Vortrag? Wg. Vorne stehen und Fragen über Fragen, die du "natürlich" alle nicht beantworten könntest. ;) ... Quatsch! KANNST DU!, sobald sie jmd gestellt hat.
Mach aus der Not eine Tugend, um ein bekanntes Sprichwort zu quälen! Wenn du dich am Institut zurückgezogen hast und innerlich eine Wagenburgmentalität kultiviert hast, dann steh dazu auch beim letzten Schritt! "Ich habe es euch bisher gezeigt und meine Diss nicht nur gegen die üblichen Widerstände durchgezogen, sondern auch gegen meine DM! Den letzten Schritt schaffe ich auch!". Halt das Pulve trocken und die Waffen geladen! ^^ und wenn kaum jemanden dein Thema interessiert, um so besser, dann kommen weniger Fragen, die du ja alle nicht... siehe oben^^.

Sicher, von aussen klingt "nur noch 1 Sem." leicht, aber dann stell dich einfach mal neben dich und gib dir einen Klaps! "Barbara, du schaffst den Kleinkram!" Ãœberzeug die Frau "neben dir", die ist nervlich am Boden und glaubt dir! ;) Verdien dir deinen Schreikrampf danach! ;)
BrexitExpat

Re: Promotion noch nach der Verteidigung schmeissen?

Beitrag von BrexitExpat »

Frage dich, was könnte im schlimmsten Fall passieren? Die Chance, dass sie dich zu diesem Zeitpunkt durchfallen lassen, ist verschwindend gering. Im schlimmsten Fall hälst du ein Seminar, das flachfällt aber wen interessiert das?

Ich glaube, wir Doktoranden gehen oftmals zu hart mit uns ins Gericht: Du bist noch am Anfang deiner Karriere, also selbst wenn ein Seminar nicht besonders gut ist, ist es okay - es ist ein Lernprozess und falls wirklich ein dämlicher Kommentar kommen sollte, ist es weise, demnjenigen genau das klipp und klar zu sagen, und nach Verbesserungsvorschlägen zu fragen (und wenn nur der Diplomatie zur Liebe): "Stimmt, ich bin noch etwas unsicher, wenn ich Seminare gebe - was denkst du, könnte ich besser machen?" Weist du die Antwort zu einer Frage nicht, ist es grundsätzlich auch nicht verkehrt zu sagen "Ich hab an dem Projekt/Thema seit x Monaten nicht mehr gearbeitet und weiß die Antwort daher leider gerade nicht genau und möchte nicht spekulieren. Aber ich kann gerne nachschauen und die Frage per E-Mail beantworten". Nicht optimal, aber besser als rumzueiern, und Ehrlichkeit in solchen Momenten bringt einem meiner Erfahrung nach mehr Plus- als Negativpunkte. In der Forschung gibt es bereits zu viele Leute, die nicht zugeben, wenn sie etwas nicht wissen oder sich nicht sicher sind.

Du hast es unter wenig optimalen Umständen so weit gebracht, das ist etwas worauf du stolz sein solltest. Es ist unwahrscheinlich, dass überhaupt jemand irgendetwas negatives sagen wird, aber wenn, erinner dich dran, dass du noch da bist. Du hast gekämpft und nicht aufgegeben, wenn andere durchaus aufgegeben hätten - wenn das zu einer nicht optimalen aber "gut genug" Leistungen für ein letztes Seminar führt, dann ist es eben so. So wie es klingt, hast du die Umstände, die dein Leben im Augenblick negativ beeinflussen, dann hinter dir und kannst frei und promoviert ein neues Kapitel anfangen.
Im Ernstfall könnte es auch helfen, mit deinem Hausarzt darüber zu sprechen, ob zumindest für einen überschaubaren Zeitraum psychologische und/oder medizinsche Hilfe in betracht gezogen werden sollte. Da du bereits krankgeschrieben warst, gehe ich davon aus, dass du bereits in Behandung bist, aber es ist wichtig, dass dein Behandlungsplan regelmäßig angepasst wird. Es gibt durchaus Methoden (Atemübungen, Bewegungsabläufe, ...) und unter Umständen Medikamente, die helfen können, Panikattacken kurzfristig zu unterbinden. Ob das für dich passend wäre, kann aber nur ein Arzt entscheiden, von daher wäre es vermutlich hilfreich, mit deinem Hausarzt zu sprechen, falls du es noch nicht getan hast (ich meine, das geht alles über den Hausarzt in Schweden?)
Unis bieten auch oftmals Stellen für psychologische Hilfe an und manchmal kann es schon helfen, sich einfach hemmungslos bei einem Fremden auszuheulen und zu hören, dass man nicht der/die einzige ist. Dass Doktorväter und -mütter keine Betreuungsqualitäten haben, kommt leider viel zu oft vor. Es empfiehlt sich aber, die Uni nach abgeschlossener Promotion wissen zu lassen, dass der relevante Betreuer unter Umständen etwas Nachhilfe in Sachen Betreung gebrauchen könnte - und wenn nur für zukünftige Generationen.
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Re: Promotion noch nach der Verteidigung schmeissen?

Beitrag von praktikum »

Ich bin mir nicht sicher, ob diese Schiene mit dem "Ist doch egal" eine gute Idee ist. Immerhin zieht man damit Besucher/Teilnehmer ungefragt in Mitleidenschaft. Man sollte immer versuchen, zumindest ein normales Niveau zu erreichen. Vor allem wegen dem Respekt vor sich selbst.

Die Sache mit dem Coaching für das Seminar seitens eines Psychologen oder Hausarzts klingt zu optimistisch, aber fragen kann nicht schaden. Entscheidender muss aber die Frage sein, wie es nach der Geschichte weitergeht.
Wierus
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Re: Promotion noch nach der Verteidigung schmeissen?

Beitrag von Wierus »

Hallo BarbaraSweden,

lass dich nicht unterkriegen. Du wirst das packen, nachdem du schon so weit gekommen bist! :wink:
BarbaraSweden

Re: Promotion noch nach der Verteidigung schmeissen?

Beitrag von BarbaraSweden »

Hallo Ihr Lieben!

Vielen Dank für eure Kommentare und Vorschläge, es tut mir gut, eure aufmunternden Worte zu lesen.
Ich habe mir inzwischen professionelle Hilfe geholt und bin bei einer Psychologin in Behandlung um wieder Boden unter den Füssen zu bekommen.

Das Seminar werde ich irgendwann halten. Es handelt sich um ein Literaturseminar, d.h. ich muss mir dafür einen wissenschaftlichen Artikel suchen und ein Referat darüber halten oder alternativ Leute finden, die bereit sind, eine Stunde mit mir darüber zu diskutieren. Beides im Grunde genommen Peanuts, aber für mich immer noch eine Riesenhürde.

Als ersten Schritt bin ich neulich mal wieder an dem Institut gewesen, an dem ich für die Diss gearbeitet habe. Ich wollte einen Gastvortrag hören und habe mich hingewagt. Vorher hatte ich Panik hoch drei, aber letztlich war es dann gar nicht so schlimm, ausser dass ich meine Betreuerin gesehen habe (da ist all der Mist aus der Doktorarbeit wieder hochgekocht ...). Habe sogar mit vier Leuten gesprochen und fühlte mich schon nicht mehr so isoliert .... War hinterher richtig stolz auf mich :)

Ich denke mir, ich werde jetzt in kleinen Schritten versuchen, mich auf das Seminar vorzubereiten. Eines meiner Probleme ist, dass ich zu hohe Ansprüche an mich selber habe, zumindest sagt das die Psychologin, und ziemliche Panik, etwas Schlechtes abzuliefern und zu scheitern. Aber irgendwie werde ich das hoffentlich in den Griff bekommen.

Also, danke noch einmal für eure Antworten. Ich hoffe, es geht euch während eurer Doktorarbeit besser als es mir ergangen ist!
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