Soll ich's wirklich machen oder lass ich's lieber sein?

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Leptoball

Soll ich's wirklich machen oder lass ich's lieber sein?

Beitrag von Leptoball »

Schönen Abend!
Ich dachte daran mich mal an euch zu wenden, um mir ein paar Anregungen einzuholen. Ich bin 27 Jahre alt, studierter Master of Science der Physik und habe letztes Jahr auch einen sehr guten Abschluss in der theoretischen Kernphysik gemacht. Wie bei fast allen Physikern auch direkt die Möglichkeit gehabt meine Arbeit in Form einer Dissertation auf dem Gebiet bei meinem Prof fortzusetzen. Leider ist mir gegen Ende meiner Masterarbeit klar geworden, dass ich zwar Kernphysik für durchaus sehr anspruchsvoll halte, mich aber viele Fragestellungen auf dem Gebiet schlicht nicht interessieren. Ich auf Konferenzen und Workshops geistig abschalte und mich dabei abquäle ein Interesse vorzutäuschen.

Ich entschloß mich daher gegen eine Fortsetzung meiner wissenschaftlichen Arbeiten. Nach einer kurzen Phase des Zweitstudium bin ich jetzt in der IT-Branche gelandet. Ich verstehe jetzt zwar ganz gut warum es dorthin so einige Charaktertypen an NaWis hinverschlägt, aber um ehrlich zu sein, hab ich das Gefühl, dass ich auf dem falschen Planeten bin.

Da mir ziemlich gut bewusst ist, dass sich das Zeitfenster für Stipendien und Graduierenkollegs sich zu schließen beginnt, habe ich seit Ende meines Studiums viel akademische Literatur durchschmöckert, in der Hoffnung noch mal neue Interessen zu entwickeln. Und tatsächlich hab ich ein reges Interesse an einem Teilgebiet der Biophysik entwickeln können. Im Speziellen ein Gebiet welches mich auf Grund seiner Unkonventionalität und Interdisziplinarität sehr interessiert. Und tatsächlich gibt es hier in Deutschland auch einige größere Forschungscluster, über welche auch Stellen in diesem Gebiet finanziert werden. Ich ziehe daher stark in Erwägung, mich mit Professoren und AGs in Kontakt zu setzen.

Ich hatte mich auch einige Zeit lang für Forschungen im Bereich maschinelles Sehen und Computergrafik sehr interessiert, hatte aber persönlich den Eindruck gewonnen, dass diese Bereiche oftmals hochgradig spezielle Methoden benutzen, so dass man zumindest eine Masterarbeit hätte zuvor machen sollen, bzw bei den AGs als Hilfskraft-Programmierer gearbeitet. Eine förmliche Anfrage die ich an eine AG gestellt hatte, blieb leider auch unbeantwortet.

Es ist eine sehr schwierige Lebenssituation für mich. Auf der einen Seite möchte ich endlich das Leben genießen können und Geld verdienen, auf der anderen Seite fühle ich mich als Vollblut-Akademiker und möchte daher auch noch mich noch mal eben mit einem komplexen Thema beschäftigen. Und schließlich heißt es ja auch 'Money doesn't buy happiness'. Auf der anderen Seite habe ich auch gewisse Ängste, mir Chancen zu verbauen.

Ich bin nicht an konkreten Lösungsvorschlägen interessiert. Sondern würde einfach nur gerne wissen, wie ihr das sieht und ob ihr euch in ähnlichen SItuationen befunden habt.

Viele Grüße
Leptoball
praktikum
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Re: Soll ich's wirklich machen oder lass ich's lieber sein?

Beitrag von praktikum »

Leptoball hat geschrieben:..., dass ich zwar Kernphysik für durchaus sehr anspruchsvoll halte, mich aber viele Fragestellungen auf dem Gebiet schlicht nicht interessieren. Ich auf Konferenzen und Workshops geistig abschalte und mich dabei abquäle ein Interesse vorzutäuschen.
Es tauchen innerhalb eines Fachgebiets immer Teile auf, die man nicht besonders prickelnd findet. Teilweise muss man sich aber dafür interessieren, alleine wegen der Netzwerke. Das wird bei dem von Dir erwähnten interdisziplinären Gebiet nicht anders sein.

Leptoball hat geschrieben: Und tatsächlich hab ich ein reges Interesse an einem Teilgebiet der Biophysik entwickeln können. Im Speziellen ein Gebiet welches mich auf Grund seiner Unkonventionalität und Interdisziplinarität sehr interessiert. Und tatsächlich gibt es hier in Deutschland auch einige größere Forschungscluster, über welche auch Stellen in diesem Gebiet finanziert werden. Ich ziehe daher stark in Erwägung, mich mit Professoren und AGs in Kontakt zu setzen.
Hier sei Dir nochmal gesagt, dass Du Dich so gut wie nie ausschließlich auf für Dich reizvollte Aspekte konzentrieren kannst. Zudem fallen im wissenschaftlichen Betrieb immer lästige Aufgaben an, die alles andere als stimulierend wirken.

Leptoball hat geschrieben: Ich hatte mich auch einige Zeit lang für Forschungen im Bereich maschinelles Sehen und Computergrafik sehr interessiert, hatte aber persönlich den Eindruck gewonnen, dass diese Bereiche oftmals hochgradig spezielle Methoden benutzen, so dass man zumindest eine Masterarbeit hätte zuvor machen sollen, bzw bei den AGs als Hilfskraft-Programmierer gearbeitet.
Ein entsprechendes Masterstudium wäre hier wirklich anzuraten. Aber das ist ein großer Schritt, der Dich länger bindet und schlimmstenfalls an die gleiche Stelle führt. Finde ich aber gut, dass Du das nicht von vorneherein ausschliesst.

Leptoball hat geschrieben: Es ist eine sehr schwierige Lebenssituation für mich. Auf der einen Seite möchte ich endlich das Leben genießen können und Geld verdienen, auf der anderen Seite fühle ich mich als Vollblut-Akademiker und möchte daher auch noch mich noch mal eben mit einem komplexen Thema beschäftigen. Und schließlich heißt es ja auch 'Money doesn't buy happiness'. Auf der anderen Seite habe ich auch gewisse Ängste, mir Chancen zu verbauen.
Du hast oben bemerkt, dass ich auf einen bestimmten Punkt hinaus möchte. Du hast nach Deiner Masterarbeit bzw. dem Antritt auf Deine Stelle anscheinend eine Art von Praxisschock erlebt. Den kann man genauso in der wissenschaftlichen Arbeit zu Beginn der Promotion erleben. Bei einer guten Stelle mit vernünftigen Arbeitsklima gewöhnt man sich aber hoffentlich schnell ein. Mit einem neuen Masterstudium würdest Du dem vorerst nur ausweichen.
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Re: Soll ich's wirklich machen oder lass ich's lieber sein?

Beitrag von donkeydoeshisphd »

Vorweg: Ich will dir keine Ratschläge geben, denn das möchtest du nicht und das kann ich sehr gut verstehen. Stattdessen will ich dir einfach kurz erzählen, wie' bei mir lief.

Auch wenn ich aus einem ganz anderen Fachbereich komme sehe ich einige Gemeinsamkeiten zu meinem Vergangenheits-ich zu Beginn der Promotion. Das Angebot bekam ich mit Ende 27 - hab de facto mit 28 angefangen. Die Alternative wäre ein recht sicheres Jobangebot gewesen mit guter Work-Life-Balance und vernünftigem Gehalt. Aber auch ein Job, der mir nach zwei-drei Jahren vermutlich langweilig geworden wäre. Nicht intellektuell, sondern einfach von den Aufgaben her. Als "Vollblutakadesel" würde ich mich nicht sehen. Ich lese, schreibe und rechne einfach gerne und im Rahmen der Diss wird man ja genau für diese Dinge bezahlt :) Und die Lehre fand ich eigentlich eher immer spaßig, jedenfalls, wenn die Studis gut drauf und einigermaßen interessiert waren.

Ich habe mich schlussendlich für die Promotion entschieden, weil mir klar wurde, dass ich vor mir selbst in 20 Jahren rechtfertigen müsste, warum ich das Promotionsangebot nicht angenommen habe. Bedenken hinsichtlich meiner Voraussetzungen hatte ich auch, aber andere schaffen's ja auch. Wichtig war dabei meine Überlegung, dass ich für den Worst Case immer noch den Sprung auf den freien Arbeitsmarkt als realistisch eingeschätzt habe, falls es mit der Diss dann doch nix wird. Wäre ich vor einer "Diss oder arbeitslos"-Entscheidung gestanden, hätte ich mich gegen die Promotion entschieden und versucht auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und Berufserfahrung zu sammeln.

Wie auch immer du dich entscheidest: Alles Gute dir
Leptoball

Re: Soll ich's wirklich machen oder lass ich's lieber sein?

Beitrag von Leptoball »

praktikum hat geschrieben:
Leptoball hat geschrieben:..., dass ich zwar Kernphysik für durchaus sehr anspruchsvoll halte, mich aber viele Fragestellungen auf dem Gebiet schlicht nicht interessieren. Ich auf Konferenzen und Workshops geistig abschalte und mich dabei abquäle ein Interesse vorzutäuschen.
Es tauchen innerhalb eines Fachgebiets immer Teile auf, die man nicht besonders prickelnd findet. Teilweise muss man sich aber dafür interessieren, alleine wegen der Netzwerke. Das wird bei dem von Dir erwähnten interdisziplinären Gebiet nicht anders sein.
Das ist mir klar. Jedes Lehrbuch hat Kapitel die man öde findet und jedes Studium Vorlesungen die man schwänzt und lieber die Zeit mit nem Kaffee in der Mensa verbringt. Wenn das ganze allerdings während der wissenschaftlichen Arbeit zu sehr überhand gewinnt, sollte man sich schon fragen, ob ein Wechsel nicht doch noch mal sinnvoll wäre.
donkeydoeshisphd hat geschrieben: Auch wenn ich aus einem ganz anderen Fachbereich komme sehe ich einige Gemeinsamkeiten zu meinem Vergangenheits-ich zu Beginn der Promotion. Das Angebot bekam ich mit Ende 27 - hab de facto mit 28 angefangen. Die Alternative wäre ein recht sicheres Jobangebot gewesen mit guter Work-Life-Balance und vernünftigem Gehalt. Aber auch ein Job, der mir nach zwei-drei Jahren vermutlich langweilig geworden wäre. Nicht intellektuell, sondern einfach von den Aufgaben her. Als "Vollblutakadesel" würde ich mich nicht sehen. Ich lese, schreibe und rechne einfach gerne und im Rahmen der Diss wird man ja genau für diese Dinge bezahlt :) Und die Lehre fand ich eigentlich eher immer spaßig, jedenfalls, wenn die Studis gut drauf und einigermaßen interessiert waren.

Ich habe mich schlussendlich für die Promotion entschieden, weil mir klar wurde, dass ich vor mir selbst in 20 Jahren rechtfertigen müsste, warum ich das Promotionsangebot nicht angenommen habe. Bedenken hinsichtlich meiner Voraussetzungen hatte ich auch, aber andere schaffen's ja auch. Wichtig war dabei meine Überlegung, dass ich für den Worst Case immer noch den Sprung auf den freien Arbeitsmarkt als realistisch eingeschätzt habe, falls es mit der Diss dann doch nix wird. Wäre ich vor einer "Diss oder arbeitslos"-Entscheidung gestanden, hätte ich mich gegen die Promotion entschieden und versucht auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und Berufserfahrung zu sammeln.

Wie auch immer du dich entscheidest: Alles Gute dir
Vielen Dank dir! :) Ich hoffe wirklich sehr, dass es bei mir noch klappt. Ich musste aus finanziellen Gründen in die Wirtschaft wechseln, fühle mich aber durch die Erfahrungen die ich dort mache eigentlich nur darin bestätigt, dass ich es noch einmal versuchen sollte.
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