Abbruch vor mündlicher Verteidigung

Doug

Abbruch vor mündlicher Verteidigung

Beitrag von Doug »

Hallo,

ich hoffe ich poste hier richtig.

Ich habe vor ca. 6,5 Jahren angefangen als Externer in Jura zu promovieren. Ich weiß inzwischen nur zu gut, dass die Motivation für ein solches Vorhaben sehr entscheidend ist, aber ich will ehrlich sein: mir ging es damals weniger um die Freude am wissenschaftlichen Arbeiten. Vielmehr war das ganze Vorhaben für mich einerseits eine willkommene Möglichkeit, nicht sofort in das Berufsleben einsteigen zu müssen. Andererseits fühlte ich mich als FH-Absolvent in Wirtschaftsrecht auch sehr geschmeichelt, aufgrund meiner sehr guten Diplom- und Masterarbeit, einen Doktorvater an der rechtswissenschaftlichen Fakultät einer Universät gefunden zu haben, der mich für promotionswürdig hielt. Das ist/war (für die Kombi FH-Wirtschaftsrecht / Uni-Jura) nicht unbedingt selbstverständlich, denn zwischen den beiden Studiengängen bestehen inhaltlich (vor allem in der Tiefe) meiner Ansicht nach erhebliche Unterschiede. Ich würde also ohne Rumgeeier nicht widersprechen, wenn jemand hier behauptet, ich habe eigentlich aus genau den falschen Gründen angefangen zu promovieren.

Durchgehalten habe ich die ganze Zeit eigentlich nur, weil mein Doktorvater nie sonderlich viel von mir verlangt hat. Den habe ich - wenn es hochkommt - beim jährlichen Doktorandenseminar angetroffen, wenn ich denn im Zweijahresrhythmus dort dann mal anwesend sein konnte/wollte. Noch entscheidender war es aber, so glaube ich, dass ich mich durch den Erhalt eines Stipendiums (ca. 20.000 € über die ersten 4 Jahre) und eines völlig missratenenen Zeitmanagements (Abschätzung wie lange die Promotion wohl noch dauern würde) stets selbst mit dem Hinweis "Jetzt bist du schon so weit gekommen und hast so viel investiert..." sehr unter Druck gesetzt habe und auch teilweise von anderen Leuten (Familie) habe setzen lassen. Aus heutiger Sicht ist es mir irgendwie unbegreiflich, warum ich nie den Mut hatte, einfach die Reißleine zu ziehen. Inzwischen ist es mir sogar völlig gleich, ob ich den Titel bekomme oder nicht - für das Thema, welches mir vom Prof vorgegeben wurde, konnte ich nie das in meinen Augen erforderliche Interesse aufbringen. Auch für mein jetztiges Arbeitsleben wären die zwei Buchstaben wohl nicht mehr als ein "nice-to-have".

Im Januar diesen Jahres habe ich es dennoch irgendwie geschafft, nach einer für mich sehr langen Leidenszeit endlich fertig zu werden und offiziell einzureichen. Mein Doktorvater kam vergangenen Montag auch mit dem Erstgutachten auf mich zu und bewertete die Arbeit mit "cum laude". Mir ist bewusst, dass das keine Meisterleistung, aber dennoch grundsolide ist. Ich habe ehrlich gesagt auch nichts großartig Anderes erwartet. Dafür fehlten/fehlen mir für den abschließenden deutschen Teil (ca. 1/3) meiner rechtsvergleichenden Arbeit (2/3 US-Recht) einfach die Körner mich nebenberuflich weiter zu quälen.

Nun habe ich inzwischen leider richtige Panik vor der bevorstehenden Verteidigung, auch wenn die wohl wahrscheinlich erst zu Beginn des kommenden Jahres stattfinden durfte. Die ganze Situation setzt mir so zu, dass ich an gar nichts anderes mehr denken kann und überhaupt nicht mehr in der Lage bin, mich vernünftig vorzubereiten. Zudem fühle ich mich nach der langen Zeit richtig ausgelaugt, denn ich habe die letzten 3 Jahre neben meinem Vollzeitjob promoviert und somit fast jedes freie Wochenende und auch zum Teil die Zeit nach der Arbeit abends für die Dissertation geopfert. Ich glaube es sagt schon viel, dass ich in den letzten 6 Jahren nur ein einziges Mal für eine Woche "so richtig" im Urlaub gewesen bin und selbst dorthin hatte ich mir dann Literatur mitgenommen, weil mich - wie immer - ein schlechtes Gewissen wegen meiner Dissertation plagte.

Ich bin inzwischen an einem Punkt angelangt, an dem ich ernsthaft überlege, die Dissertation zu schmeissen. Ich weiß, das muss gerade im Hinblick darauf, dass ich bereits eingereicht und auch das erste Gutachten erhalten habe, verrückt klingen, aber ich weiß einfach nicht mehr weiter. Meine Hauptsorge ist, dass sich meine Panik - gerade in der unmittelbaren Zeit vor der Verteidigung - noch x-fach verstärken wird und ernsthafte gesundheitliche (und folglich auch berufliche) Konsequenzen nach sich ziehen wird. Das kommt nicht von ungefähr, denn so erging es mir bereits vor 2 Jahren, als ich einen Teil meiner Arbeit auf dem Doktorandenseminar vorstellen sollte. Damals musste ich den Termin, nachdem ich mich völlig kirre gemacht hatte und sowohl geistig als auch körperlich völlig ausgelaugt war, schlussendlich absagen und mich mehrere Wochen erholen. Dazu kommt auch noch, dass gewisse, bereits erwähnte Familienteile einen Abbruch als "keine Möglichkeit" erachten (ich habe mich da in der Vergangenheit - zugegebener Maßen - sehr beeinflussen lassen) und ich gar nicht mal im Ansatz weiß, wie ich diese Sache meinem Doktorvater erklären soll. Der wird dafür, insbesondere weil die Uni gerne weiter mit der Stiftung die mich finanzierte zusammenarbeiten wollen wird, nur wenig Verständnis aufbringen.

Danke fürs Lesen. Vielleicht geht/ging es jmd ja ähnlich oder es hat sonst jmd hilfreiche Anregungen.
Traudel
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Re: Abbruch vor mündlicher Verteidigung

Beitrag von Traudel »

Nein, nicht abbrechen! Bitte nicht! Du bist soweit gekommen, lieber Doug.

1. Tipp: Mach Dir klar: Es kann Dir NICHTS passieren in der Verteidigung. Das allerschlimmste, sehr unwahrscheinliche Szenario wäre, dass Du durchfällst -- und damit hättest Du quasi das gleiche Resultat wie mit dem vorzeitigen Abbruch.
2. Tipp: Gib Deiner Angst nicht nach! Du hast den Kolloquiumsvortrag abgesagt und wirst ggf. Deine Redeangst zu sehr kultivieren, wenn Du jetzt erneut Deinem Fluchtreflex nachgibst. Und das kann Dich in einen Strudel immer größerer Angst ziehen. Ich habe richtig verstanden: Du bist nicht als Anwalt tätig, gell? D.h. Du musst zwar nicht regelmäßig vor Gericht sprechen, aber im Beruf wirst Du doch sicher immer wieder in Präsentations- und Vortragssituationen geraten, oder nicht? Vermeidest Du sie ebenfalls, oder beschränkt sich die Angst ausschließlich auf die Diss.?
3. Tipp: Bevor Du ernsthaft erwägst, hinzuschmeißen, wende Dich an die Psychologische Beratung Deiner Uni. 100% anonym und kostenfrei.
4. Tipp: Je nachdem wie vertrauensvoll Dein Verhältnis zu Erst-/Zweitbetreuer ist, weihe ihn ein. Aber hier erst nach Rücksprache mit der Psych. Beratung.
5. Tipp: Sollte Deine Redeangst als pathologisch oder übermäßig belastend einzustufen sein (mit Attest nachweisen), dann wird es vielleicht eine Art "Nachteilsausgleich" wie z.B. bei motorischen Behinderungen, chron. Krankheiten oder Lese-/Rechtschreibschwäche geben. Hier wird Dir ebenfalls die Psych. Beratung und/oder eine eigene Anlaufstelle für barrierefreies Studieren Auskunft geben können.

Du kannst mir gern eine private Nachricht mit Deiner Uni schreiben, und ich helfe Dir bei der Recherche.

Nicht aufgeben!!
LG Traudel
flip
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Re: Abbruch vor mündlicher Verteidigung

Beitrag von flip »

Was ich mich gerade Frage: Hast du jemals in den sechs Jahre Teile deiner Diss mit deinem Betreuer besprochen?
Mir kommt es so vor, als ob du hin und wieder im Seminar warst und dann ein Exemplar schlussedlich eingereicht hast.
Doug

Re: Abbruch vor mündlicher Verteidigung

Beitrag von Doug »

@Traudel: Vielen lieben Dank für deine wertvollen Tipps. Ich komme per PN auf Dich zurück.

@flip: Mein Betreuer kannte stets den Fortschritt meiner Arbeit. Gerade in den Anfangsjahren musste ich der Stiftung halbjährliche Arbeitsberichte zukommen lassen, die vorher von ihm abgesegnet wurden. Ein richtiges Gespräch über (fortgeschrittene) Inhalte und die Strukturierung gab es allerdings nur ein Mal, als ich nach ca. 3 Jahren ca. 180 Seiten verworfen hatte, weil das Thema viel zu groß war und auf eine Eingrenzung gedrängt habe. Solch' eine Betreuung ist (zumindest für Jura) nicht ungewöhnlich. Mein Prof meinte auch am Anfang zu mir, dass 90% seiner Leistung zu dem Promotionsvorhaben erst dann abgeleistet werden, wenn eingereicht wurde. Er hat bzw. hatte immer auch ziemlich viele Doktoranden (20-25), inzwischen ist er seit ein paar Jahren emeritiert.
flip
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Re: Abbruch vor mündlicher Verteidigung

Beitrag von flip »

Doug hat geschrieben: Mein Prof meinte auch am Anfang zu mir, dass 90% seiner Leistung zu dem Promotionsvorhaben erst dann abgeleistet werden, wenn eingereicht wurde.
Den Satz verstehe ich nicht.
Doug

Re: Abbruch vor mündlicher Verteidigung

Beitrag von Doug »

@flip: Damit hat er ausgedrückt, dass eine großartige Hilfestellung vor Einreichung der kompletten Arbeit von ihm nicht zu erwarten ist. Das ist seiner Ansicht nach gerade die Leistung an einer juristischen Promotion, die eigenständige Erarbeitung des Themas. Für die Erörterung bestimmter Abschnitte wurden ja dann die Doktorandenseminare durchgeführt, an denen ich (auch aufgrund meiner Prüfungsangst) nur widerwillig teilgenommen habe. Seine Arbeit beginnt somit quasi erst mit der Abgabe der bei ihm, was ich im März 2015 vollbracht hatte. Darauf folgten seine Anmerkungen, was verbessert werden müsste (nach ca. 6 Monaten). Im Januar 2016 hatte ich dann nach Einarbeit der von ihm angeregten Korrekturen offiziell eingereicht und das Promotionsverfahren wurde eröffnet. Fast 9 Monate später bekam ich nun sein Gutachten.
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Re: Abbruch vor mündlicher Verteidigung

Beitrag von Eva »

@Doug: Ich plädiere wie Traudel dafür, NICHT hinzuwerfen, sondern zu versuchen, dich deiner Angst zu stellen, statt dich von ihr blockieren zu lassen. Sie wird dich sonst in anderen Situationen wieder am Weiterkommen hindern. Such dir professionelle Hilfe, um dieses Thema jetzt anzugehen und sieh die Diss quasi als Hinweis, dass du da eine Baustelle hast. Mir ging es in Teilen wie dir (externe Diss, die sich ewig hingezogen hat und am Ende neben nem Vollzeitjob sehr viel Energie gekostet hat, um das Thema abzuschließen) und ich kann dir sagen, das Gefühl des Stolzes auf die eigene vollbrachte Leistung, trotz und gerade wegen vieler Widrigkeiten auf dem Weg, ist wirklich grandios! (Auch wenn ich vieles am Promovieren heute kritisch sehe und es eher nicht nochmal machen würde) Lass dir das nicht von deiner Angst nehmen! :star: :blume:
Doug

Re: Abbruch vor mündlicher Verteidigung

Beitrag von Doug »

@Eva: Auch Dir vielen Dank für die aufmunternden Worte. Das mit der professionellen Hilfe bin ich bereits angegangen, ich mache seit kurzer Zeit eine Therapie gegen Prüfungsangst. Auch war ich mit meinem Problem beim Hausarzt, der mich nun kommende Woche erst einmal gründlich untersuchen möchte um dann ggf. weitergehende Maßnahmen zu ergreifen.

Insgesamt hab ihr natürlich vollkommen Recht. Ich sollte zumindest alle sich mir bietenden Möglichkeiten (Therapie, Gespräch mit dem Professor, etc.) vorher ausloten und nicht "einfach so" aufgeben. Dennoch weiß ich, dass es für mich einen gewissen Punkt gibt, den ich nicht bereit bin zu überschreiten, nämlich dann, wenn meine Gesundheit davon argen Schaden nimmt (und/oder meine berufliche Leistung entscheidend darunter leidet). Ich hoffe, dass es nicht soweit kommt. :)
Dell
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Re: Abbruch vor mündlicher Verteidigung

Beitrag von Dell »

Glückwunsch zur eingereichten Diss!
Das schlimmste ist vorbei ;-)

Nimm dir 3 Monate in denen du keinen Gedanken an die Diss verschwendest. Im Kolloquium werden sie dich schon nicht durchfallen lassen, also keine Panik!
Doug

Re: Abbruch vor mündlicher Verteidigung

Beitrag von Doug »

Hallo,

es ist ja schon ein Weilchen her. Ich möchte euch (und den Leuten, die sich in einer ähnlichen Situation befinden) dennoch mitteilen, dass alles gut gegangen ist. Im April war die Verteidigung und auch wenn die Zeit davor wirklich schwer war, habe ich es am Ende geschafft. Natürlich hattet ihr Recht, es war halb so schlimm, wie befürchtet. Mit ein bisschen Abstand ist auch mir das nun bewusst geworden. Ein großes DANKE für euren Zuspruch!

/:dr)

VG Doug
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