Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

abgemeldet

Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von abgemeldet »

Hallo liebes Forum,

als promovierender Mensch habe ich mich während meiner Promotion auch mit dem Wert des Dr.-Titels beschäftigt. Im Vorfelde und auch in meiner persönlichen Motivation spielte dies nie eine Rolle, da ich aus reinem Wissenschaftsinteresse und nicht aus beruflichem Kalkül oder aber aus Gründen des Egos an einer Promotion interessiert gewesen bin. Allerdings stellt sich bei mir die Frage, ob ich den Dr. wirklich führen werde, wenn ich fertig sein sollte.

Früher war der Dr. noch eine Auszeichnung für fundiertes wissenschaftliches Arbeiten. Größen der verschiedenen Disziplinen haben promoviert - von Kant bis Goethe, von Leibniz bis Curie. Eine erfolgreiche Promotion war quasi das Gütesiegel der jeweiligen Fachrichtung. Ein Gütesiegel, auf dessen Fundierung und Richtigkeit Verlass gewesen ist.

Nicht erst seit Guttenberg und Schavan (hier liegen die Fehler auch bei den Universitäten, die solche Arbeiten durchwinken) erfährt der Dr.-Titel in meinen Augen eine starke Entwertung. Und zwar nicht nur im gesellschaftlichen Ansehen, was in meinen Augen zu vernachlässigen wäre, da die Gesellschaft einen Dr.-Titel in meinen Augen sowieso zu fast jeder Zeit über- und falsch bewertet hat, sondern auch ganz substanziell.

Wenn ich mich unter Doktoranden einmal umhöre, dann erscheint mir das intellektuelle und akademische Niveau und Potenzial einer Promotion doch stark gesunken zu sein. Eine Promotion ist im Prozess häufig fehlerhaft, schmal und unzureichend und viele (erfolgreiche) Dissertationen lesen sich wie Bachelorarbeiten.

Hinzukommen die "kaufbaren" Dr.-Titel h.c., aber auch Schmalspurpromotionen in anderen Ländern, deren Dr.-Titel aber auch in Deutschland anerkannt werden. Man denke hier z.B. an Herrn Scheuer von der CSU. Sein erworbener Dr.-Titel wird in zwei Bundesländern anerkannt, hat aber nicht einmal das Niveau und den Umfang einer Magisterarbeit. Noch dazu ist die Arbeit voll mit wissenschaftlichen und auch anderen Fehlern.

Insgesamt verliert der Dr.-Titel in meinen Augen immer mehr an Wert - und damit meine ich wie gesagt nicht die gesellschaftliche Bedeutung, sondern vielmehr den substanziellen Aspekt.

Wie sind da eure Erfahrungen und Meinungen?

Gruß,
Timo


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Timo
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histosowi
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Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von histosowi »

Hallo Timo,

daß besagter Titel nicht mehr den "Wert" hat, den er früher einmal hatte, lieg natürlich auch an der stark gestiegenen Anzahl der Promovenden. Ich finde das aber richtig und wichtig, denn Bildung/ Weiterbildung/ Wissenschaft darf nicht nur für einige, wenige Bürger verfügbar sein.

Worüber ich aber gerade mehr nachdenke, ist, ob du dich nicht irgendwie selber "betuppst". Du betonst ja, daß du nicht promovierst, um den Doktorgrad zu erlangen, sondern um intensiv wissenschaftlich tätig zu sein. Vielleicht wiederhole ich mich ja, aber daß am Ende einer Promotion die Erlangung der Doktorwürde steht, ist der normale (und angestrebte) Gang der Dinge. Du kannst nicht so naiv gewesen sein, daß dir das vorher nicht klar war. Sich intensiv und rein wissenschaftlich zu betätigen, kann man aber auch hervorragend als WiMa. Dieser Weg wäre doch für dich auf jeden Fall dann wohl der richtige gewesen. Veräppelst du uns hier also, oder redest du dir einfach selbst ein, daß der Doktortitel niemals irgendeine Relevanz für dich hatte? Zumindest sagst du ja selbst, daß du derzeit noch am überlegen bist, ob du den Dr. dann mal führst (wenn du deine Promotion abschließen solltest > dein Status steht übrigens fälschlicherweise immer noch auf "fertig"; so viel zum Thema "intellektuelles und akademisches Niveau und Potential").

Von einer "Inflation" würde ich übrigens mitnichten sprechen, angesichts des prozentualen Anteils Promovierter an der gesamtdeutschen Bevölkerung.

Gruß, Histosowi
Zuletzt geändert von histosowi am 22.04.2014, 17:54, insgesamt 2-mal geändert.
DoneXY

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von DoneXY »

abgemeldet hat geschrieben:als promovierender Mensch habe ich mich während meiner Promotion auch mit dem Wert des Dr.-Titels beschäftigt. Im Vorfelde und auch in meiner persönlichen Motivation spielte dies nie eine Rolle, da ich aus reinem Wissenschaftsinteresse und nicht aus beruflichem Kalkül oder aber aus Gründen des Egos an einer Promotion interessiert gewesen bin. Allerdings stellt sich bei mir die Frage, ob ich den Dr. wirklich führen werde, wenn ich fertig sein sollte.
abgemeldet hat geschrieben:Dass ich promoviert habe ist vielerorts nachzulesen - unter anderem auch in meinem Lebenslauf. Ein Titel ist da aber schon eine ganz andere Hausnummer in Bewerbungen, steht dieser doch gleich als erstes vor dem Namen. Diesen einfach wegzulassen hätte einen unschönen Beigeschmack.
Cool!
flip
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Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von flip »

Joa, als "Dr" ist man halt teil einer priviligierten Bevölkerungsgruppe, auf die gerne emporgeschaut wird. Folglich steigt auch das Interesse an dem Titel mit steigender Akademisierungsquote - nicht aber an dem Grad. Meiner Erfahrung nach pochen in der Regel Dünnbrettbohrer auf ihren Dr, damit sie sich im Zweifel dahinter verstecken können. Jemand, der ständige im Forschungsumfeld unterwegs ist und sich daher seiner akademischen Leistungen nicht schämen braucht, wird hingegen auf seinen Dr verzichten. Erst recht in der Ansprache. Es ist eben ein Grad, den man als Qualifikation in den Lebenslauf schreibt.
Ich werde den Dr jedenfalls später nicht führen, allenfalls auf der Visitenkarte unter meinem Namen (sofern die Corporate Identity es nicht zwingend verlangt).

Interessanterweise wird auf den Doktor umso mehr gepocht, je geringer die Leistung dafür gewesen ist. Ausnahme: Dr.-Ing. Der muss auf jedenfall IMMER mit -Ing. genannt werden. Am besten auch noch als Anrede. ;)
Sogi

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von Sogi »

Ich würde den Threadersteller bitten, einfach nicht mehr von sich und seinem Fach auf andere zu schließen...
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Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von Zwonk »

Daß viele Dissertationen sich "wie Bachelorarbeiten" lesen, kann ich in meinem Fach nicht feststellen. Ich würde das aber nicht generalisieren und könnte mir vorstellen, daß in Fächern, in denen viele Leute vor allem deshalb promovieren, weil sie sich vom Titel was versprechen, sowas häufiger vorkommt - einfach, weil die Motivation da ist. Aber, ich habe da keinen Überblick, das bewerten zu können und lege mich deshalb auf diese These auch nicht fest.

Ansonsten glaube ich, daß Du die Dissertationen aus früheren Zeiten überbewertest. Du nennst das Beispiel Kant: dessen verschiedene Dissertationen (insofern man die überhaupt mit heutigen Dissertationen noch vergleichen kann) sind eben nicht das "Gütesiegel der jeweiligen Fachrichtung". Außer ein paar Kanthistorikern interessieren die niemanden und haben auch zu Lebzeiten Kants keinen interessiert. Die Dissertationen waren wohl eher lästige Pflichtübungen, um die Formalien zu erfüllen - die immer noch bedeutenden Hauptwerke sind eben nicht als akademische Qualifikationsschriften entstanden. Und das scheint mir in vergangenen Zeiten eher noch mehr als heute die Regel als die Ausnahme gewesen zu sein.

Wenn frühere Dissertationen überhaupt "besser" erscheinen als heutige, dann deshalb, weil die origineller sind. Aber die sind nicht deshalb origineller, weil die Leute damals klüger waren, sondern weil es schlichtweg viel weniger Wissenschaft gab. Es war viel einfacher einen "Rundumschlag" rauszuhauen, ohne damit zu vielen Leuten auf die Füße zu treten.

Heutige Dissertationen wirken hauptsächlich deshalb phanatasielos, weil die Wissenschaft sich extrem spezialisiert hat. Schon seit Jahrzehnten vertritt niemand mehr den Anspruch, ein umfassendes "System" vorzulegen, das die Erscheinungen der ganzen Welt erklärt. Viele Paper werden ja nur noch von drei Dutzend Spezialisten auf der Welt verstanden und wer eine Dissertation schreibt, der ist gezwungen, sich eine relativ spezielle Nische zu suchen, weil er nur so hoffen kann, auch nur einigermaßen einen Überblick über die vorhandene Literatur zu gewinnen. Das wirkt dann nach außen eher kleinschrittig als genialisch, aber das ist auf allen Ebenen der Wissenschaft so und hat nicht speziell was mit Dissertationen zu tun.
12. Dec 2016;01. Feb 2017;f;zum neuen Job!
DoneXY

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von DoneXY »

Zwonk hat geschrieben:Wenn frühere Dissertationen überhaupt "besser" erscheinen als heutige, dann deshalb, weil die origineller sind.
Ich denke, der Ausgangsthese "früher war alles besser und der Kaiser hatte einen Bart" liegt ein Fehlschluss zugrunde: Es mag doch auch zu Kants Zeiten absolut schwache Dissertationen gegeben haben, nur, warum sollte diese heute noch bekannt sein? Es ist doch naheliegend, dass wir heute nur die Arbeiten aus dem 18 Jhdt. kennen, die den Test der Zeit bestanden haben. Die Arbeiten, die an diesem Test kläglich scheiterten, kennen wir heute natürlich nicht. Das heißt aber nicht, dass es sie nicht gegeben hat.
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Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von Zwonk »

DoneXY hat geschrieben: Ich denke, der Ausgangsthese "früher war alles besser und der Kaiser hatte einen Bart" liegt ein Fehlschluss zugrunde: Es mag doch auch zu Kants Zeiten absolut schwache Dissertationen gegeben haben, nur, warum sollte diese heute noch bekannt sein? Es ist doch naheliegend, dass wir heute nur die Arbeiten aus dem 18 Jhdt. kennen, die den Test der Zeit bestanden haben. Die Arbeiten, die an diesem Test kläglich scheiterten, kennen wir heute natürlich nicht. Das heißt aber nicht, dass es sie nicht gegeben hat.
Das sollte man noch etwas präzisieren: Kants Dissertation über das Feuer kennen wir nicht, weil die den Test der Zeit bestanden hat, sondern weil die von Kant ist. Das ist ein ziemlich obskures Machwerk von 15-20 Seiten über die Theorie des Wärmestoffs und hat schon damals keinen vom Hocker gerissen. Hätte Kant seine Kritiken oder die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten nicht geschrieben, hätte sich wohl niemand bemüßigt gefühlt, dieses Machwerk später nochmal auszugraben und zu veröffentlichen.

Insofern wird die Ausgangsthese eigentlich schon von einem der beigebrachten Beispiele widerlegt: Kants Dissertation war eben kein wissenschaftliches Meisterwerk und kann demnach nicht als Beleg für die These gelten, daß damals die Dissertationen so viel besser waren als heute.

Was die Originalität betrifft: Grundsätzlich meine ich, daß die Leute es damals einfacher hatten, über den Tellerrand zu schauen als wir, eben weil die Teller noch nicht so tief waren. Kant unterrichtete auch Naturwissenschaften (obwohl er keine Ahnung davon hatte), weil das Forschungsprofil der philosophischen Fakultät in etwa aussah: "alles was nicht Jura, Medizin oder Theologie ist". Heute gibts das auf höherem Niveau ja noch nichtmal in einem Fach. Ein Molekulargenetiker wird eben für gewöhnlich nicht über die Flora Sumatras lehren, obwohl beides formal zum Fach Biologie gehört.

Insofern war es damals einfacher möglich, sich mit vielen verschiedenen Dingen zu beschäftigen - und das ergibt im besten Fall originelle Querverbindungen und im schlechtesten Fall wirre Konstruktionen von Zusammenhängen, die nicht existieren.
12. Dec 2016;01. Feb 2017;f;zum neuen Job!
DoneXY

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von DoneXY »

Zwonk hat geschrieben:Das sollte man noch etwas präzisieren: Kants Dissertation über das Feuer kennen wir nicht, weil die den Test der Zeit bestanden hat, sondern weil die von Kant ist
Ich denke, trotz meiner Ungenauigkeit - die ich vom Threadstarter blind übernahm - ist deutlich, worauf es mir ankam: Vermutlich kann keine / keiner hier aus dem Stehgreif die allgemeine Qualtität der Dissertation von anno dazumal beurteilen.
flip
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Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von flip »

Naja, eine Frage übergehen hier alle elegant. Nämlich ob/warum sie den "Titel" führen (möchten). ;)
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