Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Zwonk
Beiträge: 10512
Registriert: 28.04.2013, 14:13
Status: Dr. Zwonk
Hat sich bedankt: 2 Mal
Danksagung erhalten: 8 Mal

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von Zwonk »

Ich habe Studenten, die ich unterrichtet habe, nie das Du angeboten. Ich finde das etwas irreführend, weil ja trotz allem ein ziemliches Machtgefälle herrscht und das so etwas unehrlich verschleiert wird. Wenn ich mich hinstelle und sage "Hallo, ich bin der Zwonk", dann gebe ich mich vordergründig mit den Studenten auf eine Ebene - und am Ende des Semesters haue ich Ihnen dann schlechte Noten rein. Außerdem kann ich die Studenten ja auch aus Respekt siezen, indem ich sie als erwachsene Menschen betrachte, die ihre eigene Meinung haben und vertreten können.

Und den Vergleich mit dem Englischen finde ich fragwürdig. Es herrscht dabei immer die implizite Vorstellung vor, Amerikaner hätten eine anderswo nicht erreichbare Einsicht in die wahre Natur der Dinge und wüßten immer, wie man Dinge am besten tut. Und wenn hier was anders ist als in Amerika, sollten wir also besser unverzüglich das amerikanische System einführen. Ich frage mich dann immer: Wieso ist nur eine Höflichkeitsstufe besser als die zwei bei uns? Vielleicht ist ja das koreanische System mit fünf Stufen noch besser? Ich meine zumindest, wenn unsere Sprache zwei Höflichkeitsstufen kennt, dann kann man die auch nutzen. "In Amerika ist es anders" ist für mich kein Argument.
12. Dec 2016;01. Feb 2017;f;zum neuen Job!
Sapphirine

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von Sapphirine »

Klar, genau das wollte ich natürlich ausdrücken ... weil's die Amis machen sollen wir's auch machen. Es gibt viele Dinge, die ich am deutschen Bildungssystem um einiges besser finde als dort und es wäre sehr schade wenn diese in Folge der Globalisierung einfach verschwinden würden. Beim Umgang mit Studenten und Kollgen könnten man sich aber Positiveres von anderen Nationen abschauen (die Amerikaner waren jetzt nur EIN Beispiel. Ich hätte auch die Norweger nehmen können, da duzt man sich generell auch).

Außerdem bezog sich meine Aussage hauptsächlich auf dieses hier:
Cybarb hat geschrieben:Wenn Professoren einen auf "Du" machen - ja, das fände ich auch ein wenig seltsam, sofern es sich nicht um Mitarbeiter handelt, die keine Prüfung mehr bei diesem Professor ablegen müssen. Da hätte ich stets ein ungutes Gefühl, weil nun mal nicht von meinem "Kumpel" eine Note oder ein Prädikat bekommen möchte, welche womöglich noch Auswirkungen auf meinen weiteren Lebensweg haben könnten.
Die Tatsache, daß man etwas lockerer miteinander umgeht, heißt noch lange nicht, daß es nicht auch professionell sein kann. Ich habe noch nie erlebt, daß meine Studenten von mir eine besondere Behandlung erwartet haben, nur weil wir uns mit Vornamen anreden.
Wierus
Beiträge: 1100
Registriert: 11.05.2009, 20:43
Status: Dr. phil.
Hat sich bedankt: 38 Mal
Danksagung erhalten: 79 Mal

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von Wierus »

Ich habe die Diskussion leider noch nicht gelesen, aber ich möchte einige wenige Sätze loswerden, die mir mir Blick auf den Threadtitel auf den Fingern brennen:

1. Wenn es zu einem 'ethischen' Wertverlust der Promotion gekommen sein sollte, dann darf man sich vor allem bei der (politischen) Elite bedanken, die sich in dieser Hinsicht intellektuell und moralisch disqualifiziert hat. Manch einem wird das hier aufgrund politischer Nähe zu dem einen oder anderen Lager vielleicht nicht gefallen, aber dass ausgerechnet CDU- und FDP-Politiker durch Plagiate aufgefallen sind, diejenigen also, die Leistung, Fleiß, Eigeninitiative, Verantwortung und sonstige bürgerliche Tugenden predigen, das ist schon mehr als nur bemerkenswert.

2. Wenn es jetzt und in Zukunft dank einer strengeren Kontrolle von eingereichten Dissertationen nicht mehr so leicht möglich sein wird, dass z.B. ein Polit-Clan (z.B. "die Stoibers") als ganzes promoviert ist, dann sehe ich alles andere als einen Wertverlust der Promotion vorliegen.

3. Zum Glück gibt es in Deutschland immer mehr Hochschulabsolventen: Wissen ist niemals falsch oder unnütz. Was zählt ist ein mündiges (Wahl-)Volk und darauf darf man mit immer zahlreicher werdenden Qualitätsabschlüssen doch zumindest hoffen. Ein Effekt ist dabei, dass die Promotion wieder das wird, was sie schon immer war: nur ein höherer Studienabschluss. Mehr nicht. Wir müssen davon abkommen, dass ein Dr.-Titel außerhalb des eigentlichen Fachbereichs irgendeine größere gesellschaftliche Bedeutung innehat. Wer promoviert ist, der muss nicht eo ipso ein besserer Politiker, Amateurastronom, Schrebergartenbesitzer, Hobby-Radfahrer, Autofahrer etc. sein. Es gibt unzählige Beispiele für Menschen, die trotz eines Dr.Titels durch ihre Ideen und/oder Handlungen zugleich ihr moralisches, intellektuelles und/oder soziales Versagen dokumentiert haben, etwa als Betrüger, Bankräuber, (Neo-)Nazis, Drogenfabrikanten, Bombenattentäter, Mörder, Kinderschänder etc.pp.

In diesem Sinne mag ich insgesamt einen "Wertverlust" der Promotion in der Post-Guttenberg-Ära nicht erkennen.
Egon

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von Egon »

Ich möchte den eigentlich inaktiven Thread nicht wieder hervorholen, aber ich bin durch Google darauf gestoßen, da mein Team und ich gerade in diesem Umfeld forschen. Erst einmal sprechen auch wir von einer potenziellen Inflation (also einem Wertverlust, keiner Entwertung, wie vom Threadersteller richtig dargestellt). Die Entwertung steht am negativen Ende des Inflationsprozesses, ist aber mitnichten deckungsgleich mit selbigem.

Ansonsten hat uns etwas der harsche Ton einiger Antwortgeber verwundert. Der Threadersteller hat auf einen interessanten Sachverhalt hingewiesen und sich dabei auch inhaltlich nicht widersprochen. Ich sehe da auch keinen persönlichen Angriff oder Ähnliches. Gerade die Diskrepanz zwischen "man sollte den Dr. nennen um nichts zu verheimlichen und eine Qualifikation zu verdeutlichen" und "Dr. weglassen um keine Erwartungen zu schüren und nicht anzugeben" spielte auch bei mir lange eine Rolle. Aktuell schreibe ich an meiner zweiten Diss und ein "Dr. Dr." oder "Dres." kann schnell auch unschön wirken.

Weiter sollte man den Wert einer Arbeit immer im zeitlichen Zusammenhang sehen. Selbstverständlich halten viele Dissertationen aus dem 18. Jahrhundert o.Ä. heutigen Standards nicht mehr stand. So ein Vergleich ist aber auch unfair. Damalige Arbeiten müssen am damaligen Standard gemessen werden, heutige Arbeiten am heutigen Standard. Der Wert einer Arbeit ist also auch immer ein Kind der Zeit - und da erkenne ich durchaus Defizite bei vielen aktuellen Doktorarbeiten, auch solchen, die ich selbst betreut habe. Viele Doktoranden wollen z.B. den Titel um des Titels wegen und versuchen dabei bspw. vorhandene Masterarbeiten weiter "auszuschlachten". Früher erkannte ich da mehr Pioniergeist.

Eine Inflation des Wertes eines Dr.-Titels erkenne ich also insoweit, als dass heutige Stichproben (Arbeiten) im Vergleich zur Grundgesamtheit (Forschung) schlechter abschneiden als "damals".
Sebastian
Admin
Beiträge: 1977
Registriert: 30.08.2006, 12:41
Status: Schon länger fertig
Hat sich bedankt: 32 Mal
Danksagung erhalten: 55 Mal
Kontaktdaten:

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von Sebastian »

Der Threadstarter hat mich nun - drei Jahre nach Start dieses Threads mit folgender Nachricht kontaktiert:
(...) Da ich auch in der Forschung tätig sein möchte, ist der Thread entsprechend schädlich für meinen weiteren Berufsweg.

Ich kann mich bei Ihnen nur für die zusätzliche Arbeit, die Sie durch mich haben, entschuldigen. Ebenso entschuldige ich mich bei Ihnen und den Usern für die unnötige Diskussion.
Da will ich dann mal nicht so sein - der Benutzername wurde geändert und abgemeldet.
Gesperrt
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag