Promovieren oder nicht? - die oft gestellte Frage...

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Absteiger

Promovieren oder nicht? - die oft gestellte Frage...

Beitrag von Absteiger »

Hallo zusammen,

Ich lese hier schon seit einigen Wochen aufmerksam mit und stehe wohl wie viele Vorposter vor der großen Frage: Promovieren oder nicht? Ich würde mich freuen, eure Meinung dazu zu hören. Die Entscheidung fällt mir wirklich nicht leicht, aus meinem Bekanntenkreis oder der Familie hat schließlich niemand promoviert, den ich mal fragen könnte.

Vielleicht erstmal kurz zu mir: Ich habe die mittelere Reife abgeschlossen und eine Ausbildung gemacht. Danach habe ich ein paar Jahre gearbeitet. Irgendwann habe ich mich gelangweilt und es ging auch nicht wirklich vorwärts im Job. Also habe ich mein Abitur auf der Abendschule nachgeholt und anschließend ebenfalls Abends auf Bachelor studiert. Danach habe ich noch ein Jahr gearbeitet und weil es mir finanziell möglich war gekündigt, um einen Master an einer Fachhochschule in Vollzeit zu absolvieren. Das war der absolute "Schock". Mit so viel Freizeit in einem Vollzeitstudium hatte ich nicht gerechnet. ;-) Deshalb habe ich mich, mehr durch Zufall, an einen Prof. "drangehängt" und wir haben viel zusammengearbeitet in den letzten 2 Jahren. Das ging vom fachlichen Austausch über gemeinsame Konferenzbesuche bis hin zu Auftragsarbeiten. Fachlich sind wir fast auf Augenhöhe, wohl auch bedingt durch meine Berufserfahrung. Auch persönlich pflegen wir ein gutes Verhältnis. Er hat mir angeboten, bei ihm eine Promotion zu beginnen.

...die Rahmenbedingungen...
- Zusammen haben wir in der Vergangenheit Drittmittel eingeworben, worüber eine volle Stelle zur Promotion finanziert werden kann (50% kommen von der Hochschule / 50% aus Drittmitteln).
- Ein wenig Lehre müsste ich für die Hochschule leisten. Finde ich unproblematisch, ich halte auch jetzt ab und zu eine Veranstaltung. Für die Drittmittel wären einige, zu vernachlässigenden Arbeiten zu erbringen. Ich kann das gut bewerten, da ich an der Akquise umfangreich beteiligt war. :-D
- Ich werde in diesem Jahr erst 30, fühle mich also nicht wie Andere hier zu alt für eine Promotion.
- Die Fachhochschule besitzt kein Promotionsrecht. Deshalb würde ich an einer anderen Uni, an der der DV betreuungsberechtigt ist, promovieren. Hat jemand so etwas schon durchgezogen? Ich habe die Befürchtung das der "FH-Absolvent" von der Uni belächelt wird.
- Der DV hat in den letzten Jahren kaum Forschung betrieben, sondern war fachhochschultypisch eher in der Lehre unterwegs. Publiziert wurde schon gar nicht. ;-) Ich befürchte das die Vernetzung in der Community eher schwierig ist. Ich wäre außerdem der erste Promovend.
- Hieraus folgt auch mein größtes Problem: die Themenfindung. Ich habe kein Problem wissenschaftliche Fragestellungen zu bearbeiten, aber selbst eine Fragestellung zu finden ist sehr schwierig. Der DV würde ganz gerne innerhalb der nächsten 2-3 Monate ein Thema "festzurren" und wäre auch zu einem "Brainstorming" bereit. Ist das eine geeignete, übliche Vorgehensweise?

Alternativ kann ich zurück in die Industrie. Angebote, mit deutlich höherem Gehalt, liegen auch vor. "Geld spielt aber hier keine ROLEX", mit einer vollen Stelle TVL 13 komm ich klar. Ich hätte schon Lust auf die Promotion, will aber auch nicht nach 1-2 Jahren feststellen, dass die Rahmenbedingungen mir das Genick brechen.

Über ein Gedankenanstöße jeglicher Art würde ich mich sehr freuen.

Viele Grüße
Absteiger
Zuletzt geändert von Sebastian am 09.04.2014, 16:56, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Betreff für die Suchmaschine umgestellt.
Sogi

Re: Promovieren oder nicht? - die oft gestellte Frage...

Beitrag von Sogi »

Hallo Absteiger,

normalerweise würde ich allen Leuten vom Promovieren abraten, die erst diese Frage stellen müssen. Der Grund ist, dass es das Promovieren eine extrem aufwendige und zeitraubende Tätigkeit ist, die nur dann mit Erfolg (=Ziel erreicht und nicht daran kaputt gegangen) gekrönt ist, wenn man vollkommen dahinter steht.

In deinem Fall sehen die Voraussetzungen jedoch ganz ordentlich aus:

- Lust auf die Promotion
- Kontakt zu einem betreuenden Prof. bereits vorhanden
- Kontakt bereits ausgebaut und Zusammenarbeit eingespielt
- Volle TVL-Stelle
- Mit der im Vergleich zu regulären Arbeitsstellen niedrigen Entlohnung zufrieden

Wenn du nun noch den Willen entwickelst, die Sache zu beginnen und bis zum Ende durchzuziehen, dann steht deinem Erfolg nichts entgegen. Die Umstände sind gut, aber deine Ausdauer und dein Wille werden die zentralen Aspekte bei diesem Vorhaben sein.

Anbei noch ein paar allgemeine Gedanken:

- Habe ich das richtig verstanden, dass der Prof. sowohl an der FH als auch an der Uni arbeitet und dich an der Uni als Doktorand offiziell betreuen darf? Du solltest dies unbedingt in Erfahrung bringen, um nachher keine böse Überraschung zu erleben. Dein Betreuer seitens der Uni wird auf jeden Fall der Herr des Verfahrens sein und die zentrale Person, die du zufrieden stellen musst. Wenn du einen Uni-Betreuer gefunden hast, sollte dein Background mit FH-Master keine große Rolle spielen.

- Kannst du genau abschätzen, wieviel Raum Drittmittelprojekt und Lehre noch einnehmen können? Für die Promotion musst du sehr fokussiert arbeiten und kannst jede freie Minute gebrauchen.

- Wie lange wird deine Finanzierung laufen? Du solltest für eine Vollzeit-Promotion min. 3 Jahre einplanen.

- Da dein Betreuer offenbar keine intensive Forschung (wissenschaftliche Publikationen) betreibt, kannst du bzgl. deines Themas wohl nicht an Vorarbeiten anknüpfen, sondern musst dir eine eigene Forschungslücke suchen. Das ist nicht leicht, hat aber auch Vorteile, da du so freier in der Themengestaltung bist und dich unabhängig von Geldgebern oder anderweitigen Lobbyisten orientieren kannst. Aus dieser Herangehensweise entstehen teilweise die größten Innovationen. Die Reflexion innerhalb der Wissenschaft und die Veröffentlichung von Papers gehören natürlich dazu.
barbara
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Re: Promovieren oder nicht? - die oft gestellte Frage...

Beitrag von barbara »

Und ich würde Dir auch dazu raten. Warum? Du hast schon bisher nicht den leichtesten Weg gewählt und es hat Dich nicht gestört. Wenn Du bisher nicht an der Grenze Deiner Neugierde angekommen bist, dann trägt das noch eine Weile. Ich kenne einige, die nach Lehre studieren anfangen wollten, und dann bereits in den ersten Semestern auf der Nase lagen, weil sie das Studium unterschätzt hatten, die haben dann noch ne Weile rumstudiert und sind in den alten Beruf zurück. Wenn Dir das Studium leicht gefallen ist, Du sowieso immer mehrere Dinge parallel gemacht hast, also belastbar bist, und die Voraussetzungen (DV, Finanzierung) etc... sind gegeben, dann mal los!

Berufserfahrung hast Du ja, d.h. Du weisst auch, warum Du Dich da gelangweilt hast.

Brainstorming zur Themenfindung: Ob das üblich ist, weiss ich nicht, aber ich halte es für eine gute Idee. Du kommst schneller voran wie beim alleine finden, und bist von Anfang an sicher , dass es das gemeinsame Interesse trifft.
18. apr 2011;31. Dec 2013;f;hoffentlich klüger!
Absteiger

Re: Promovieren oder nicht? - die oft gestellte Frage...

Beitrag von Absteiger »

Vielen Dank für deine Antwort und deine Anregungen!

[quote="Sogi"]
- Habe ich das richtig verstanden, dass der Prof. sowohl an der FH als auch an der Uni arbeitet und dich an der Uni als Doktorand offiziell betreuen darf?[/quote]
Das ist korrekt. Er ist ordentlicher Prof. an der FH, an der Uni ist er Mitglied des Fachbereichs. Er hat selbst im Vorfeld geklärt, ob er betreuen darf.

[quote="Sogi"]- Kannst du genau abschätzen, wieviel Raum Drittmittelprojekt und Lehre noch einnehmen können? ... Wie lange wird deine Finanzierung laufen? [/quote]
Ich bin mir bewusst, dass das unerwartet auch mal mehr werden kann. Ich kann mich allerdings ganz gut organisieren. Bisher haben wir immer klare Absprachen getroffen und uns auch daran gehalten, beidseitig. Finanzierung würde genau über 3 Jahre laufen.

[quote="Sogi"]- Da dein Betreuer offenbar keine intensive Forschung (wissenschaftliche Publikationen) betreibt, kannst du bzgl. deines Themas wohl nicht an Vorarbeiten anknüpfen, sondern musst dir eine eigene Forschungslücke suchen. Das ist nicht leicht, hat aber auch Vorteile, da du so freier in der Themengestaltung bist und dich unabhängig von Geldgebern oder anderweitigen Lobbyisten orientieren kannst. Aus dieser Herangehensweise entstehen teilweise die größten Innovationen. Die Reflexion innerhalb der Wissenschaft und die Veröffentlichung von Papers gehören natürlich dazu.[/quote]

So habe ich das noch nie gesehen! Vielen Dank für diese Sichtweise. Ich bin mir aber noch nicht sicher, ob ich mit dieser "Freiheit" umgehen kann. Ich interessiere mich für viele Dinge und befürchte, dass ich in die ein oder andere "Sackgasse" gerate.

Gibt es noch andere Meinungen? Gerade zum letzten Punkt?
xiotres
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Re: Promovieren oder nicht? - die oft gestellte Frage...

Beitrag von xiotres »

Hallo Absteiger,

mein Eindruck, nachdem ich die ersten zwei Drittel deines Einstiegsposts gelesen hatte, war : "Alle Achtung, und warum fragt so einer noch?"
Punkte, die aus meiner Sicht für dich sprechen sind vor allem:

- hat sich "hochgearbeitet"
- hat das richtige Fachgebiet gewählt und ist über Bachelor und Master mit Begeisterung dabei
- hat Kontakt zu einem Prof
- hat interessante Themen
- hat bereits erfolgreich Drittmittel eingeworben

Mein Schluss daraus war: du bist im besten Sinne in der Wissenschaft drin, die Promotion wäre nur noch die Formalie, die der erlaubt, auch langfristig in diesem Umfeld zu bleiben (oder dein Können zu vergolden :) )

Aus meiner Sicht *kann* allerdings bei den weiteren von dir genannten Punkten ganz schön der Hase im Pfeffer liegen:

Da dein Betreuer nicht dein offizieller Doktorvater sein kann (weil an der FH), benötigst du eine weitere Person als Doktorvater/-mutter. Diese Person kennst du bisher überhaupt nicht, weder fachlich, noch persönlich. Gerade diese Kombination kann problenmatisch sein, denn knapp zusammengefasst forderst du von jemandem, das Ziehkind eines anderen nach den Vorstellungen (=Themen) dieses anderen durchzubringen.

Hinzu kommt noch, dass die von deinem Betreuer (dem von der FH) vorgeschlagenen Themen eventuell nicht sehr unikompatibel sein könnten. Was ich damit meine ist: Eventuell habt ihr da ziemlich gewinnträchtige Auftragsforschung an Land gezogen, aber das kann auch oft ein Teilbereich sein, der wissenschaftlich gar nicht interessant ist und den eine Firma nur oursourced, weil die FH irgendwelche Geräte hat, die sonst im Unternehmen teu(r)er angeschafft werden müssten. Als Indiz für diese, meine Interpretation werte ich auch, dass du und dein Betreuer in spe die ganze Zeit über nicht wissenschaftlich publiziert haben. Das muss meines Erachtens nicht rein auf persönliche Prioritäten zurückgehen.

Jetzt habe ich hier ein bisschen den advocatus diaboli :radioactive: gespielt. Ich wünsche dir natürlich trotzdem, dass du es schaffst, erfolgreich zu promovieren. Was ich hoffe, ist, dass ich einige deiner stillschweigenden Befürchtungen beim Namen genannt habe, und du jetz besser darüber nachdenken kannst.

Eine gute Entscheidungsfindung!

Xiotres
"Denken ist schwerer, als man denkt." (duplo)
Absteiger

Re: Promovieren oder nicht? - die oft gestellte Frage...

Beitrag von Absteiger »

Hallo zusammen,

Vielen, vielen Dank für Eure Antworten. Ich fühle mich nicht mehr ganz so alleine gelassen mit meiner Entscheidung. Es ist echt nicht einfach so eine Entscheidung zu treffen, wenn man im persönlichen Umfeld niemanden fragen kann. Hoch lebe das Internet! :-D Hatte auch überlegt, mich an die Promotionsberatung an der Uni zu wenden...

Zur Betreuungssituation: "Mein FH-Prof." ist nach seiner Rücksprache mit dem Promotionsausschuss an der Uni betreuungsberechtigt. Er hat dort seit Ewigkeiten eine Honorarprofessur. Ich habe mir die Ordnung auch einmal angeschaut, diese ist dazu jedoch nicht ganz eindeutig. Hier werde ich wohl Hausaufgaben nachholen müssen. Es gibt aber erfreulicherweise einen Anhang, die gemeinsame Promotionen mit FHs thematisiert. Das nimmt mir ein wenig die Scheu, dass ich an einer Uni als FHler belächelt werde. ;-)

Sollte mein "Betreuer in spe" nicht betreuungsberechtigt sein, finde ich die Sache schon sehr schwierig. Die räumliche Distanz FH - Uni ist einfach zu groß, um mit einem anderen Betreuer zusammen zu arbeiten. Ich schätze durchaus den kurzen Dienstweg.

Unser Drittmittelprojekt ist ausschliesslich anwendungsbezogen, für die Forschung kommt da nichts bei rum. Ich will jetzt nicht behaupten, dass wir das nur für die Finanzierung von Stellen machen, aber ein mögliches Promotionsthema in dem Bereich ist jedoch sehr unwarscheinlich.

Viele Grüße
Absteiger
JamesBond

Re: Promovieren oder nicht? - die oft gestellte Frage...

Beitrag von JamesBond »

Hallo Absteiger,

ich kann mich den Vorpostern nur anschließen. Zunächst mein Respekt, dass du es soweit gebracht hast. Das "lustige" an der Sache ist, dass es mir relativ ähnlich gegangen ist. Ich habe auch mit einem Realschulabschluss angefangen und mich dann über die Jahre hochgearbeitet. Es war hart, aber machbar - wenn man es wirklich will. Inzwischen mache ich bereits meine Promotion - allerdings in den USA. Hier kommt noch dazu, dass man sich primär mit nicht-deutscher Literatur "rumschlagen" darf. Aber auch das ist machbar. In diesem Fall wünsche ich dir viel Erfolg und hoffen, du nutzt die Chance!

Viele Grüße
James
Absteiger

Re: Promovieren oder nicht? - die oft gestellte Frage...

Beitrag von Absteiger »

Nach einem weiteren Treffen mit meinem potentiellen Betreuer, ist meine Entscheidung ist gefallen. Ich werde die Promotion angehen. Ich denke die Rahmenbedingungen sind wirklich zu gut. ;-)

Nach dem das nun klar ist, freue ich mich irgendwie auch richtig auf die bevorstehende Zeit. Ich möchte mich nochmal für die Kommentare bedanken, welche mir doch teilweise noch andere Sichtweisen gegeben haben!
Gesperrt
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