Indirektes Zitieren von "Sekundärquellen"

Fragen aus der laufenden Arbeit an der Dissertation.
Literatursuche, Motivationsprobleme, Lehrtätigkeit, Ärger mit dem Prof u.v.m.
ERDOM

Indirektes Zitieren von "Sekundärquellen"

Beitrag von ERDOM »

Hallo zusammen,

in meiner Dissertation argumentiere bzw. prognostiziere ich zukünftige Marktentwicklungen und ihre Folgen.
Dazu geben ich oft Zahlenmaterial an, die ich streng nach der Primärquelle zitiere.
Entferne ich mich jedoch thematisch von der Zahlengrundlage und stütze mich auf Interpretationen bzw. Meinungen, fällt es mir schwer Primär- von Sekundärquelle zu unterscheiden. Ich frage mich, ob in diesem Fall die Grenze zwischen Sekundär- und Primräquelle überhaupt existiert. Als Quellen benutze ich häufig Artikel, die wiederum auf sehr viele Quellen verweisen. Scheiden diese Artikel - da Sekundärquellen - für das zitieren aus?
Zur Veranschaulichung des Problems folgender (vereinfachter) Fall:
Quelle 1: Der Wettbewerb wird zunehmen, weil die Nachfrage zurückgeht.
Quelle 2: Der Wettbewerb wird zunehmen, weil die Anzahl der Anbieter steigt.
Quelle 3: Die Anbieter werden um 40% zunehmen und die Nachfrager um 40% abnehmen.

Mein Text: Der Wettbewerb wird zunehmen, weil das Angebot zunimmt und die Nachfrage sinkt.

Angemonnen die Quellen 1 und 2 verweisen auf Quelle 3, könnte ich dennoch nur die Quellen 1 und 2 angeben? Würde ich hier die Primärquelle angeben, wäre es ja streng genommen ein Plagiat, da ich die Interpretation der Autoren von Quelle 1 und 2 unterschlage. Korrekt?

Danke im Voraus!
musicus

Re: Indirektes Zitieren von "Sekundärquellen"

Beitrag von musicus »

Verstehe ich dich richtig, daß du Sekundärquellen grundsätzlich nicht verwenden willst ("scheiden aus")? Warum? Es gibt mehrere verschiedene Bedeutungen von "Primär-" und "Sekundärquelle", sag doch bitte mal, was du darunter verstehst. In meinen Fächern sind Sekundärquellen problemlos zitierbar, auch Tertiärquellen gehen.

Ein Plagiat ist, wenn du einen Text wörtlich übernimmst, aber die Quelle nicht angibst. Einen Text/Aussage sinngemäß übernehmen, ohne die Herkunft anzugeben, würde ich als "fehlende Quellenangabe" bezeichnen (wobei man natürlich nicht jede Quelle kennen kann sprich: das muß keine Absicht sein).

In deinem Beispiel geben 1 und 2 die Aussage von 3 wieder, aber eben jeweils nur einen Teil der Aussage und lassen den anderen Teil weg (warum auch immer). Warum willst du überhaupt 1 und 2 zitieren, wenn du doch 3 hast?
ERDOM

Re: Indirektes Zitieren von "Sekundärquellen"

Beitrag von ERDOM »

Hallo,

als Sekundärquelle / -material wird von einer Originalquelle (in meinem Bsp. Quelle 3) abgleitetes Material (in meinem Bsp. Quellen 1 u. 2) bezeichnet. Das abgleitete Material wird als Sekundärmaterial bezeichnet und ist, soweit ich weiß, grundsätzlich nicht zu verwerten. Liegt einem die Orignal- / Primärquelle nicht vor, könnte man in Ausnahmefällen das Sekundärzitat anwenden: zit. nach...

Das obige Beispiel ist natürlich extrem vereinfacht und der Schluss von der Aussage in der Quelle 3 auf die anderen ist trivial. In der Realität ist das aber für gewöhnlich nicht so und die Interpretation an sich ist meiner Meinung nach die wissenschaftliche Leistung. Deshalb würde ich gerne auf Quelle 1 und 2 durch ein indirektes Zitat verweisen. Mit der Nennung dieser Quellen will ich zusätzlich darauf hinweisen, dass ich mit meiner Meinung nicht alleine bin.

Viele Grüße

Dominik
algol
Beiträge: 8761
Registriert: 09.06.2009, 22:15
Status: mittendrin?
Danksagung erhalten: 1 Mal

Re: Indirektes Zitieren von "Sekundärquellen"

Beitrag von algol »

Hallo Dominik,

ich finde das auch nicht so problematisch. Macht Dein Prof da so ein Gedöns um die Quellenart?
Ich würde direkte Quellen für ein bestimmtes Zahlenmaterial abgeben aber auch die Interpretationen dazu, wenn Du sie referierst.

algol
musicus

Re: Indirektes Zitieren von "Sekundärquellen"

Beitrag von musicus »

Ich glaube, du vermischt da Primärquelle/Sekundärquelle und Sekundärzitat (auch: "Gebrauchtzitat" (Theisen)). Sekundärzitate sind nicht so gern gesehen, weil das natürlich eine Fehlerquelle darstellt (einmal falsch zitiert und das setzt sich dann fort). Wenn dir die Originalquelle aber nicht vorliegt, dann sind sie in Ordnung ("zit. nach ...").

Das Beispiel ist wieder etwas anderes: hier hast du zwei unterschiedliche Interpretationen (1,2) einer Aussage (3). Natürlich sind diese zitierfähig, als direkte oder indirekte Originalzitate. :wink:
nK

Re: Indirektes Zitieren von "Sekundärquellen"

Beitrag von nK »

Möglicherweise ist es tatsächlich ein Missverständnis, wie von Musicus bereits vermutet. Ich kann jedenfalls auch nicht verstehen, was dagegen sprechen sollte, Sekundärquellen zu zitieren. Das macht im Gegenteil den Löwenanteil von Quellenangaben in einer Diss aus. Du musst ja auch angeben, wenn jemand anders die selbe Interpretation wie Du bereits vorgenommen hat. Und zwar so umfassend, wie möglich. Also sollten in Deinem Beispiel alle Quellen rein.
ERDOM

Re: Indirektes Zitieren von "Sekundärquellen"

Beitrag von ERDOM »

Hallo,

tatsächlich ist mein Problem das von Musicus erwähnte "Gebrauchtzitat".
Viele meiner zitierten Quellen verweisen wiederum auf sehr viele weitere Quellen. Die von mir zitierten Aussagen sind aber häufig Prognosen, die aus meiner Sicht nur Meinung darstellen können, da der Sachverhalt eben in der Zukunft liegt. In diesen Fällen mache ich mir erst gar nicht die Mühe der Qriginalquelle auf den Grund zu gehen. Liege ich mit meiner Einschätzung ob es sich um eine Meinung oder Faktenwissen handelt falsch, ziehe ich dann leider einen systematischen Fehler durch die Arbeit. Den schmalen Grad zwischen zulässigem und falschem "Gebrauchtzitat" auszuloten fällt mir schwer.
Habt ihr Anhaltspunkte oder Bspiele für mich?

Danke!
Aguti
Beiträge: 13725
Registriert: 16.10.2007, 15:02
Status: Dr. phil.
Wohnort: Süddeutschland
Hat sich bedankt: 36 Mal
Danksagung erhalten: 23 Mal

Re: Indirektes Zitieren von "Sekundärquellen"

Beitrag von Aguti »

Ich denke, auf der sicheren Seite bist du, wenn du dir doch die Mühe machst, die Zitate direkt nachzuschlagen. Sind diese Quellen denn so schwer aufzutreiben? Ich würde "zitiert nach" nur verwenden, wenn die Beschaffung der Quelle einen unverhältnismäßigen Aufwand darstellt, soweit es geht, immer primär.
musicus

Re: Indirektes Zitieren von "Sekundärquellen"

Beitrag von musicus »

Ein (direktes) Gebrauchtzitat wäre z.B. folgendes: Osterhase (2008, S. 111) schreibt:
Dieses Phänomen ist nicht neu. Schon Mümmelmann bemerkte 1989 (S. 222): "Die Dominosteine bestehen meistens aus Holz, es gibt aber auch hochwertigere Ausführungen aus Elfenbein, für Sammlerzwecke."
Daraus machst du jetzt in deiner Arbeit, weil du das Mümmelmann-Zitat nicht mit eigenen Augen gesehen hast:
Mümmelmann (1989; 222) beschrieb schon Dominosteine aus anderen Materialien: "Die Dominosteine bestehen meistens aus Holz, es gibt aber auch hochwertigere Ausführungen aus Elfenbein, für Sammlerzwecke" (zit. nach Osterhase (2008; 111).
Daß es sich um Prognosen handelt, ist eigentlich in diesem Zusammenhang egal, es geht ja nur darum, daß du ein wörtliches Zitat verwendest, ohne 100%ig sicher zu sein, daß es im Buch auch genauso steht, weil du das Original eben nicht bekommen konntest.

Ich glaube nicht, daß du einen systematischen Fehler in deiner Arbeit hast, kann mir die Beispiele aber auch nicht so richtig konkret vorstellen. Du hast eine Prognose von Autor 3, sagen wir ein Wirtschaftsforschungsinstitut (WiFo). Auf diese Prognose beziehen sich jetzt zwei andere Autoren 1 und 2, und zwar interpretierend? Und wie lautet jetzt das, was du daraus machen willst?
ERDOM

Re: Indirektes Zitieren von "Sekundärquellen"

Beitrag von ERDOM »

Hallo,

ich greife Dein Bespiel auf, um die Sache griffiger zu machen.

Ich finde eine Quelle in der schreibt Müller (2010, S. 100): "Auf dem Markt für hochwertige Dominosteine wird bis 2020 der Anteil an Elfenbein-Dominosteinen um 20% zunehmen" (vgl. Mümmelmann (1989, S. 222) und Schmidt (1995, S. 200))

Schmidt (1995, S. 200) schreibt: "Dominospieler sehnen sich zunehmend nach hochwertigen Materialen"

In meiner Arbeit würde ich schreiben: Elfenbein wird auf dem Markt für Dominosteine zunehmend nachgefragt (vgl. Müller (2010, S. 100).

Deutlich wird, dass Müller alleine auf Basis der Quellen von Mümmelmann und Schmidt nicht zu seiner Schlussfolgerung hat kommen können, sondern offensichtlich seine eigenen Kenntnisse zusätzlich hat einfließen lassen. Würde ich alle drei zitieren, würde sich meine Fußnote inflationär füllen und Transparenz verloren gehen.

Beste Grüße
Gesperrt
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag