Disputation nach Zerwürfnis. Wie durchstehen?

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Chika
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Disputation nach Zerwürfnis. Wie durchstehen?

Beitrag von Chika »

Ich habe in diesem Forum während meiner Promotionszeit immer wieder interessiert mitgelesen und oft Trost in den Geschichten erfahren. Nun möchte ich, kurz vor dem Ziel, meine Geschichte mit euch teilen, mir einmal alles von der Seele schreiben. Vielleicht hilft es dem ein oder anderen. Und vielleicht habt ihr ein paar aufmunternde Worte für mich, denn momentan geht es mir ziemlich schlecht und ich stelle mir durchaus die Frage, ob ich nicht alles hinschmeißen soll.

Ich habe vor sieben Jahren mit der Promotion in den Geisteswissenschaften begonnen. Damals bin ich recht naiv und unbedarft in diese Zeit gestartet, war froh, eine Betreuerin gefunden zu haben, die auch schnell eine Idee für meine Arbeit hatte. Sie riet mir, meine MA-Arbeit auszubauen. Gleich im ersten Gespräch schlug sie vor, ich solle einmal ihre Diss lesen, um mir zu überlegen, ob ich mich in der Anlage der Arbeit an dieser orientieren wolle. Ich weiß nicht mehr genau, wie mein Eindruck von dieser Arbeit war, als Inspiration fand ich sie wohl gelungen, und außerdem hatte ich das Gefühl, mich nun an dieser orientieren zu müssen. So verfolgte ich nun meine Forschungsfrage mit einem ihrer Arbeit ähnlichem Design, oftmals unsicher und genervt, weil sich meine Arbeit nicht immer wie MEINE Arbeit anfühlte. Ich merkte durchaus, dass ich Fragen bei Tagungen, auf denen ich die Arbeit präsentierte, die auf die Anlage der Arbeit zielten, schlecht beantworten konnte. Nicht weil die Anlage/Struktur/Methode Quatsch gewesen wären, sondern weil ich es nicht selbst durchdacht und erarbeitet hatte. Das weiß ich heute. Heute kann ich mir das Unbehagen erklären, das ich manchmal mit meiner Arbeit hatte... Ich habe auch in Gesprächen mit ihr zwei-, dreimal versucht, eine andere Orientierung für meine Arbeit vorzuschlagen. Erfolglos. Stets freundlich und bestimmt hat meine Betreuerin dafür gesorgt, dass ich weitermachte wie zu Beginn bzw. immer wieder den Spagat bewältigen musste, meine eigenen Gedanken und Fragen an ihre Struktur anzulehnen. Unser Verhältnis war dabei aber immer gut. Ich habe ihr jedes Kapitel zum Lesen gegeben und jedes Kapitel mit ihr nachbesprochen. Das Feedback war immer überaus positiv. Das gilt auch für Rückmeldungen der Zweitgutachtung auf Kolloqiuumsvorträge und Ausschnitte der Arbeit. In zwei Gesprächen forderte meine Betreuerin, ich solle hier auf ihre Arbeit verweisen. Das habe ich dann durch Fußnoten getan.
Inzwischen hatte ich Kinder bekommen, war in eine andere Stadt gezogen und hatte begonnen zu arbeiten. Nebenbei stellte ich mit Mühe und Not die Arbeit fertig. Ich erinnere mich, dass ich ein Unterkapitel lange vor mir herschob, weil mir nicht klar war, was sie hier hören wollte. Ihre Rückmeldung war dann, dass es gelungen sei, sie mir aber schon einmal gesagt hätte, ich solle auf ihre Arbeit verweisen. Das habe ich dann sogar nochmal im Fazit meiner Arbeit getan, weil ich dies für eine prominente Stelle hielt. Ich habe die Alarmglocken nicht klingeln hören…
Das Fazit der Arbeit haben beide Betreuende vorab gelesen. Einstimmig rieten sie mir zur Abgabe. Befreit und stolz gab ich die Arbeit vor inzwischen 1,5 Jahren ab. Ein halbes Jahr hörte ich nichts. Dann kam der Super-GAU. Ich erhielt ein offizielles Schreiben vom Prüfungsamt, meine Arbeit würde mir zur Umarbeitung zurückgegeben. Die Gründe dafür solle ich bei meinen Betreuern erfragen. Jetzt ging die Sch… los. Ich erreichte meine DM tagelang nicht, Mails blieben unbeantwortet. Nach einer Woche hatte ich sie am Telefon, mir ging es furchtbar, weil ich nicht wusste, wie mir geschieht. Sie sagte, ich müsse anreisen, sie könne mir telefonisch keine Auskunft geben. Einen Gesprächstermin erhielt ich erst einige Wochen später (die Frist für die erneute Abgabe lief bereits...). Die schlimmsten Wochen meines Doktorandendaseins, in denen ich an allem zweifelte. An mir, der Arbeit, am Betreuungsverhältnis. Ich fuhr dann also quer durch die Republik. Für ein schließlich gerade mal 10-minütiges Gespräch, in dem man mir ein Plagiat der Arbeit meiner DM vorwarf… Ich fiel aus allen Wolken (ich war mir keiner Schuld bewusst! Niemand ist so blöd und plagiiert seine DM!), nickte im Gespräch zu allem und fuhr wieder ab. Zwei Wochen später erhielt ich eine 3-seitige Liste von ihr, in der minutiös angegeben war, an welchen Stellen meiner Arbeit ich auf ihre Arbeit verweisen sollte. Drei davon leuchten mir bis heute ein. Alle anderen halte ich für fragwürdig…
Ich war sehr genervt, verunsichert, gekränkt. Für mich fühlte es sich nun ganz klar nach Zwang an. Sie zwang mich dazu, ihre Arbeit als Grundlage meiner Arbeit darzustellen. Ich las ihre Arbeit nochmals, ich fand vieles nicht gut und richtig und für meine Arbeit nicht zielführend. Ich litt. Ich machte mich an die Überarbeitung, konnte es mir aber (heute sage ich dummer- und naiverweise) nicht nehmen lassen, mich auch kritisch mit ihrer Arbeit auseinander zu setzen, ja, irgendwie war ich schon auf Krawall gebürstet. Ich habe in ihrer Arbeit auch deutlich problematische Stellen entdeckt, an denen sie nicht richtig zitiert. Ich erkannte jetzt, wie sehr ich immer unter dem Zwiespalt gelitten hatte, meine Gedanken in ihre Struktur zu pressen. Und ich war enttäuscht vom Umgang mit mir. Ich fühlte mich getäuscht, hatte unser Verhältnis für besser gehalten. Hätte sie mich einmal persönlich angerufen, statt mich im Dunklen tappen zu lassen, mich herzuzitieren…
Ich ärger mich bis heute über mich selbst. Wieso habe ich das nicht kommen sehen? Wieso habe ich die Bertreuung nicht früher gewechselt, wie es mir viele KollegInnen geraten hatten?
Und wieso musste ich in der Überarbeitung versuchen, ihre Forderungen nicht einfach demütig einzuarbeiten?
Denn jetzt stehe ich nach einem weiteren Jahr des Wartens vor der Disputation. In einem furchtbaren Telefonat (der Ton macht die Musik...) hat sie mir die Kritikpunkte an der Arbeit genannt, die Gutachten wollen sie nicht rausgeben (sie behaupten, es sei verboten, Fakt ist, dass die PO es nicht regelt und jeder machen kann, was er will…). Die Kritik inbesondere der Zweitgutachtung bezieht sich einerseits auf Punkte, die mir selbst stets Unbehagen gemacht haben – auf solche der Struktur und Anlage der Arbeit – die ja nicht auf meinem Mist gewachsen sind… Andererseits monieren sie nun das Kapitel, in dem ich mich mit der Arbeit meiner DM auseinandersetze. Ja, wahrscheinlich hat meine Auseinandersetzung mit ihr zu Widersprüchen in der Arbeit geführt, aber es war einfach so furchtbar, etwas aufschreiben zu müssen, was ich nicht so sehe, oder gegen das ich dummerweise rebellieren wollte. Ich weiß, dass ich diese Dinge in einem Vortrag demütig relativieren kann. Und ich will inzwischen auch keine gute Note mehr haben. Eigentlich will ich gar nicht mehr Teil dieses Systems sein. Eigentlich will ich meine Arbeit nicht mal mehr publizieren, weil sich kein Stolz mehr auf diese einstellt. Doch kurz vor dem Ziel schmeißen?
Das Schlimme ist, dass ich meine DM nun für unberechenbar und auch fies halte. Die PO regelt, dass die Disputationen für die Mitglieder der Fakultät öffentlich sind. Nur der Doktorand kann auf Antrag darüber verfügen, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird. Im Telefonat erklärte sie mir, ich müsse fragen, falls ich eine Person mitbringen wolle. Schließlich sei das noch immer eine Prüfung und nicht der Ort, um seine „Fans“ zu versammeln. Ich glaube aber, dass es in meinem Verfahren gut sein könnte, wenn alles nicht im stillen Kämmerlein stattfände. Sie hat ebenfalls behauptet, die Prüfung ginge 90 min exkl. Vortrag, die PO gibt 60 inkl. Vortrag vor. Wie kann ich mich nun absichern? Ich habe Angst, es mit jeder Mail schlimmer zu machen. Wie bereite ich mich auf diese Prüfung und die Begegnung mit ihr vor? Wie befriede ich die Herrschaften und wie kann ich dennoch bei mir bleiben? Oder ist der Zug abgefahren und werde ich die Arbeit eh nie mehr als MEINE empfinden?

Ich freue mich auf eure Einschätzungen und danke, dass ich hier mal alles loswerden durfte!
Wierus
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Re: Disputation nach Zerwürfnis. Wie durchstehen?

Beitrag von Wierus »

Die Tatsache, dass du nun endlich zur Disputation darfst, sollte dir anzeigen, dass alles halb so schlimm ist (wenn überhaupt).
Stelle jetzt noch ein paar interessante Thesen zusammen und gehe in deinem Vortrag auch auf neueste Beiträge zum Dissertationsthema ein, dann läuft die Verteidigung problemlos.

Ich gehe nicht davon aus, dass sich drei+X Professoren die Mühe machen und eine Disputation abhalten, um Kandidat/in durchfallen zu lassen.
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Re: Disputation nach Zerwürfnis. Wie durchstehen?

Beitrag von Phia123 »

Du kannst sehr stolz auf dich sein trotz der Widrigkeiten und neben der Arbeit und den Kindern deine Diss fertig gestellt zu haben! Das schaffen nicht viele. Du kannst stolz sein durchgehalten zu haben. :blume:
Ich verstehe, dass du nicht mehr Teil des Systems sein möchtest. Das ging mir nach meiner Disputation auch so. Ich brauche auch erst einmal Abstand zu diesem "Sauhaufen".

Konzentriere dich jetzt ganz auf deine Disputation. Du bist so weit gekommen und natürlich wirst du diesen Weg beenden. Du darfst auch zweifeln, das ist ganz normal. Halte dir aber immer vor Augen, dass du neben all den Zweifeln, Jammern und Schimpfen selbstverständlich die Dispu durchziehst. Lass dir nicht deinen Erfolg nehmen!
Versuche einen sehr klar strukturierten Vortag auszuarbeiten. Habt ihr inhaltliche Kriterien dafür? Wie viel Zeit hast du für den Vortrag? Stelle am Ende ruhig die Kritikpunkte zur Diskussion. Finde hierzu auch relativierende Aspekte. Gibt es außer deiner DM noch andere Autoren die dieses Thema diskutieren? Kannst du ihre Einschätzungen vielleicht noch mit einarbeiten? Suche auch nach neuerer Literatur. Nimm eine Abwägung der Argumente vor.

Es gibt doch hinterher immer Dinge die man hätte anders machen sollen. Die Diss-Phase ist ein Lernprozess. Das ist der eigentliche Gewinn, nicht unbedingt der schriftliche Teil, sondern der Weg und Lernprozess dorthin. Und so wie ich das höre, hast du diesen Weg gut gemeistert.
Ich habe in meine Diss auch ein Kapitel mit einer kritischen Reflexion meines Vorgehens eingebaut. Ich habe lange gezögert dieses Kapitel so auszubauen, aber ich finde es gehört zu einer guten Arbeit dazu auch die Fehler zu reflektieren. Ich weiß, dass es viele nicht so machen und lieber versuchen ihre Fehler zu verstecken. Das Offenlegen der Fehler hat zumindest bei mir schließlich die Note nicht weiter beeinflusst.
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Re: Disputation nach Zerwürfnis. Wie durchstehen?

Beitrag von dr_superman »

hi,
das tut mir wirklich leid, was Dir da passiert ist. Aber der Vorschreiber hat recht:
das Schlimmste ist überstanden. Wie Du die Dispu nun angehst, ist Dir überlassen.
Du kannst die DV kritisieren - wenn Du Dich wohl fühlst. Du kannst die Zähne zusammen beissen - wenn Du Dich wohl fühlst. Bei mir machte die Dispu ein Drittel der Note aus - Du hast wohl bestanden. Nun geht es nur noch um Dich und Dein Selbstbewusstsein.
Und wenn Du mit nun erweitertem Fachverstand die Fehler Deiner DV in der Diss siehst, das war ja schließlich auch ihre Diss und kein hochgefeierter Artikel oder ihre Habil nach x Jahren Erfahrung.... also Fehler können da schon vorkommen.... das muss sie auch einsehen....
dann spricht das doch nur für Deine Kompetenz. Das weiss sie auch. Evtl. dreht sie deswegen so durch.
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Re: Disputation nach Zerwürfnis. Wie durchstehen?

Beitrag von SSCI »

Die Verteidigung ist das letzte Mal, in der sie Dir das Leben schwer machen kann. Danach bist Du frei.

Nur meine Einschätzung: Versuche, so demütig und dankbar gegenüber der Kommission zu sein wie möglich, auch wenn Du die Faust in der Tasche machen musst. Wichtig ist nur, dass es klappt. Nimm auch unberechtigte Kritik an. Zu allem nicken. Freundlich sein.

Das sind Witzfiguren, die Ihre informelle Macht ausnutzen. Es ist das System, das die negativen Eigenschaften in den Personen ans Licht kommen lässt. Aber das wirst Du nicht ändern. Deshalb lass es Dir egal sein.

Viel Erfolg!
Chika
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Re: Disputation nach Zerwürfnis. Wie durchstehen?

Beitrag von Chika »

Danke für eure Antworten! Das tut gut.
Ja, ich werde es mit Demut und Dankbarkeit probieren... Denn den Titel möchte ich mir dann doch abholen.

Alles Gute euch für eure Projekte!
teilchenphysik196
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Re: Disputation nach Zerwürfnis. Wie durchstehen?

Beitrag von teilchenphysik196 »

Hallo Chika, lass die Flossen nicht hängen. Im Grunde geht es um akademische Eitelkeiten von Menschen, die sich irgendwie nicht gesehen und wertgeschätzt fühlen. An Doktoranden lassen sie dann diese Defizite aus. Das verschafft ihnen ein Gefühl der Macht, was sie eben ansonsten in ihrem Alltag vermissen. Im Grunde Kleingeister. Typisch auch, wie die Betreuung läuft. Ich meine doch, dass jemand, der mit sich im Reinen ist, Doktoranden wohlwollend betreut, sie ermutigt, lobt, befähigt. Und eben nicht kleinmacht, abwertet, demotiviert oder mit destruktiver Kritik überschüttet. Du musst diese Leute noch 1 mal sehen. Das kriegst Du hin! Du holst Dir Deinen Titel! Ich wünsche Dir alles Gute! Viel Erfolg! /:dr)
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