Wer bewirbt sich eigentlich auf PostDoc-Stellen in DE?

Irgendwann ist jeder fertig. Und dann darf er sich hier austoben :-)
chaosbringer

Wer bewirbt sich eigentlich auf PostDoc-Stellen in DE?

Beitrag von chaosbringer »

Hallo,

wie in einem anderen Posting bereits geschrieben über lege ich meinen gegenwärtigen Job aufzugeben, und zurück an die Universität zu gehen. Das Problem ist, wie immer, die schlechte lanfristige Aussicht.

Beispielsweise habe ich eine interessante Stellenanzeige gefunden:
Deutsches Forschungsinstitut, BMBF gefördert. Die Stelle ist 4 Jahre befristet. Zu den Aufgaben gehört:
a) Eigenes Forschungsprofil stärken, b) Veröffentlichen, c) Drittmittel einwerben und d) eigene Forschungsgruppe aufbauen und leiten.

Meine Frage dazu:
Wer bewirbt sich auf sowas? Nach 4 (oder eben spätestens 6) Jahren wird man wohl zwangsweise entlassen, wegen WissZeitVG.
Die Chancen auf eine Professur sind wohl sehr sehr gering, also warum sollte ein PostDoc sich auf die Stelle einlassen? Welche Argumente gibt es dafür?

Danke :)
Amalia

Re: Wer bewirbt sich eigentlich auf PostDoc-Stellen in DE?

Beitrag von Amalia »

chaosbringer hat geschrieben: Die Chancen auf eine Professur sind wohl sehr sehr gering, also warum sollte ein PostDoc sich auf die Stelle einlassen?
Gute Frage: Warum geht überhaupt noch irgendjemand in Deutschland in die Wissenschaft?
Vielleicht ist es unerschütterlicher Idealismus? Vielleicht auch einfach nur eine grenzenlose Verantwortungslosigkeit gegenüber der eigenen beruflichen (und finanziellen) Zukunft?
Wer es rational durchdenkt, sollte wohl zu dem Schluss kommen, besser möglichst schnell (allerspätestens direkt nach der Promotion) die Wissenschaft zu verlassen….
Sapphirine

Re: Wer bewirbt sich eigentlich auf PostDoc-Stellen in DE?

Beitrag von Sapphirine »

Klasse, Amalia!

Und um dieser Antwort noch etwas Inhalt zu geben:

@ Chaos: nimm mir das nicht übel aber ich bin mir nicht sicher, ob Du mit dieser Einstellung wirklich in die Wissenschaft gehen solltest.
Schau Dir mal aus Spaß die Lebensläufe von Professoren an. Die wenigsten werden von der Promotion bis zur Professur NUR an einer einzigen Universität/Institution gewesen sein. Ich will jetzt nicht generalisieren aber in meinem Fachbereich haben die meisten Professoren etwa 10 Jahre Nomadendasein hinter sich - 1-2 Jahre Post-Doc hier, 3 Jahre irgendwo anders, 5 Jahre Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und dann mit 40+ klappt's mit der Professur. Klar gibt es Ausnahmen (wo gibt es die nicht) aber darauf sollte man sich nicht verlassen. Klar kann man sich gleich für eine Professur bewerben, wird aber mit relativ großer Wahrscheinlichkeit scheitern, weil man nicht die nötige Qualifikationen mitbringt (Lehrerfahrung, Forschungsprojekte, Habil, etc).
Du wirst nicht zwangsweise entlassen sondern Du suchst nach einer anderen Stelle bevor Deine 4 oder 6 Jahre zu Ende sind. Im Gegensatz zu Millionen anderen Menschen, die einfach mal so entlassen werden, weißt Du schon von Anfang an, ab wann Du Dich um einen neuen Job zu kümmern hast.
Gibt's wirklich nur zwei Möglichkeiten: Lauf der Dinge akzeptieren und sich für solche Stellen bewerben oder es einfach lassen.
chaosbringer

Re: Wer bewirbt sich eigentlich auf PostDoc-Stellen in DE?

Beitrag von chaosbringer »

Tja, es ist wohl ein unumgängliches Dilemma:
Entweder man geht auf Risiko und probiert es in der Wissenschaft mit einer Wahrscheinlichkeit X, dass man irgendwann eine Dauerstelle/Professur bekommt, oder man geht gleich in die Industrie.

Die Frage ist also nur, wie groß ist X, und wie groß muss für einen persönlich X sein, damit man das Risiko eingeht: 0.1%, 1%, 10%?
Das ist für mich die Kernfrage. Sollte man sich für die Wissenschaft entscheiden, selbst wenn die Chancen auf eine Professur bei 0.1% liegen? Immerhin besteht die Chance, dass es klappt, und man lebt ja auch nur einmal... Warum sollte man in seinem Leben nicht versuchen seine Träume zu verwirklichen? Will man sich den Rest seines Lebens die Frage stellen "Was wäre passiert, wenn ich doch in die Wissenschaft gegangen wäre"? Auf der anderen Seite ist es auch nicht gerade angenehm, wenn man mit 40 Jahren da steht und seine wiss. Karriere nicht mehr fortsetzten kann... Ich bin zur Zeit in der Industrie und jedesmal wenn bei uns das Wort "Forschung" fällt zucke ich innerlich zusammen, und jedesmal wenn mir gesagt wird, dass ich nicht so akademisch Denken soll, wiederstrebt sich alles in mir... Auf der anderen Seite schätze ich aber auch die Sicherheit einer festen Stelle in der Industrie (wobei man hier auch vor einer Kündigung nie sicher ist).

Schwierig...
flip
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Re: Wer bewirbt sich eigentlich auf PostDoc-Stellen in DE?

Beitrag von flip »

Für mich klingt die Stellenbeschreibung ganz simpel nach ner Habil-Stelle.
Sapphirine

Re: Wer bewirbt sich eigentlich auf PostDoc-Stellen in DE?

Beitrag von Sapphirine »

Ok, wahrscheinlich habe ich Dein Anliegen am Anfang nicht ganz verstanden und den Kommentaren nach zu urteilen andere auch nicht.
Du suchst nach Argumenten, warum Du diesen Schritt wagen solltest und willst von anderen (also uns) hören, warum wir in der Wissenschaft bleiben?

Für mich hat sich die Frage eigentlich nie gestellt, weil das Ziel von Anfang an die Forschung und Lehre war. Ich komme aus den Geowissenschaften und hätte nach dem Master/Diplom schnell in die Ölindustrie wechseln können aber ich könnte es einfach nicht ertragen, jeden Tag das gleiche zu machen und keine Herausforderung zu haben. Nach der Promotion war für mich auch klar, eine wissenschaftliche Stelle zu suchen - die Alternative Industrie hätte ich nur dann in Erwägung gezogen, wenn ich keine Stelle gefunden hätte aber hat ja alles geklappt.
Um ehrlich zu sein mache ich mir momentan auch keine Gedanken, was in 10 Jahren ist - ich bin sehr zufrieden mit meiner aktuellen Beschäftigung und ich wollte nichts anderes machen (das Land ist nicht so ganz mein Fall aber man kann ja nicht alles haben :wink: ). Hin und wieder schaue ich nach Stellenangeboten und wenn was dabei ist, was mir zusagt, werde ich mich dafür bewerben aber ich habe 2 Jahre (+1 Jahr Verlängerung wenn ich das wollte) Zeit, mich nach der nächsten Stelle umzusehen und ich bin mir relativ sicher, daß ich was finden werde. Wahrscheinlich auch eine befristete Stelle aber das is ok. Allerdings bin ich örtlich relativ flexibel und somit suche ich weltweit (abgesehen von ein paar Ländern, die ich für mich definitiv ausschließen würde).

Also warum mache ich das?
1. Ich brauche geistige Herausforderung und Abwechslung (kann man eventuell auch in der Industrie haben, je nach Job aber an der Uni ist das eher gewährleistet)
2. Ich möchte meine Forschung selbst gestalten können und nicht nur auf bestimmte Bereiche beschränkt sein (habe momentan mein eigenes Forschungsprojekt und Geld dafür - keiner mischt sich in meine Arbeit ein. Ein Professor leitet das übergeordnete Projekt und er ist natürlich interessiert aber redet mir nicht rein).
3. Meine Arbeitszeit ist extrem individuell gestaltbar. Manchmal arbeite ich ein Wochenende durch, kann dann aber auch mal einen Tag in der Woche frei nehmen. Keiner kontrolliert meine Arbeitszeiten - nur das Resultat in Form von Publikationen/Präsentationen zählt. Momentan kann ich mir das leiten, weil ich keinen Lehraufrag habe aber ...
4. Ich finde auch die Lehrtätigkeit spannend und mir macht das Spaß. Die Kombination Forschung und Lehre gibt es für mich so nur an der Universität. Werde mich hier also auch darum bemühen Kurse geben zu drüfen (muss allerdings noch etwas mehr die Sprache lernen, weil sich hier Englisch noch nicht so richtig durchgesetzt hat).

Fazit: momentan mache ich genau das, was ich mir vorgestellet habe (da hat sich die katastrophale Phase der Doktorarbeit doch wirklich gelohnt) und diese "was wäre wenn" Gedanken habe ich nicht.

Garantien gibt es im Leben leider keine und die Entscheidung kann Dir auch keiner abnehmen aber meist gibt es doch einen Weg (vielleicht über viele Umwege aber irgendwie kommt man doch ans Ziel).
Penguin
Beiträge: 93
Registriert: 01.05.2014, 07:23
Status: postdoc

Re: Wer bewirbt sich eigentlich auf PostDoc-Stellen in DE?

Beitrag von Penguin »

Hi,

ich wuerde mich auf so eine Stelle bewerben. :D
Ich wuerde sagen, solche Stellen sind wohl v.a. fuer Leute attraktiv, die schon einen postdoc im Ausland gemacht haben (oder anschliessend machen wollen), so dass sie genuegend Jahre als postdoc gearbeitet haben um ihre Habil fertigzustellen.

Selbst wenn die Chancen auf eine Professur schlecht sind (oder man keine Professur anstrebt), diese Stelle wuerde 4 Jahre Gehalt bedeuten + eigene Forschung. Kein schlechter deal!

lg
Penguin
Telephonmann

Re: Wer bewirbt sich eigentlich auf PostDoc-Stellen in DE?

Beitrag von Telephonmann »

Tja, mit solchen Überlegungen zermartern sich wohl alle das Gehirn, die - aus welchen Gründen auch immer - nach der Diss in der Wissenschaft bleiben. Ich selber strebe (noch) eine wissenschaftliche Karriere an, und für den Moment funktioniert das ganz gut, aber ich habe mir ein paar Leitplanken und Grenzen gesetzt, ohne die ich die Prekarität einer befristeten Stelle nicht aushalten würde:

- Ich habe für mich entschieden, dass eine Nomadenexistenz nicht in Frage kommt. Ich war schon an drei Universitäten in Forschung und Lehre tätig und erlebe diese Mobilität als befriedigend, aber auch belastend - seit ich mir klargemacht habe, dass ich nicht auswandern möchte und bei zu grosser Mobilitätszumutung auch einen Schlussstrich ziehen würde, geht es mir viel besser. Ich will als Wissenschaftler arbeiten, aber nicht um jeden Preis (und ich will auch meiner Partnerin und unseren Familien keine Auswanderung zumuten). In diesen Fragen muss man seine individuellen Grenzen kennenlernen und zu ihnen stehen; das beruhigt ungemein.
- Wenn sich für mich bis Mitte 30 keine unbefristeten Perspektiven eröffnen, steige ich aus bzw. um.
- Ich habe mir einen halbwegs verlässlichen Plan B erarbeitet, auf den ich ausweichen könnte, wenn es in der Wissenschaft nicht weitergeht (Lehrdiplom für Gymnasien).

Das ist jetzt einfach MEINE coping-Strategie. Jede und jeder findet einen eigenen Umgang mit den Ängsten und Problemen, die einen in der Wissenschaft zwangsläufig begleiten. Wichtig ist nur, dass man auch tatsächlich seinen Hintern hochkriegt und solche individuell stimmigen Strategien entwirft. Sonst steht man plötzlich mit 40 vor dem Nichts... Zumindest die Perspektivierung eines gangbaren alternativen Karriereplans würde ich allen empfehlen, jedenfalls in denjenigen Fächern, mit denen man nicht einfach "in die Industrie" gehen kann (ich bin Geisteswissenschaftler).

EDIT: Was mir hier ein bisschen fehlt, ist die Empörung. Ich finde es inakzeptabel, dass auf solchem Qualifikationsniveau derart prekäre Stellen ausgeschrieben werden. Ich finde es inakzeptabel, dass es in der Wissenschaft keine valablen Karriereperspektiven unterhalb der Professur gibt, die auch von hervorragenden Kandidaten aus rein arithmetischen Gründen nur selten erlangt wird. Ich finde es inakzeptabel, dass es in der Wissenschaft fast unmöglich ist, die nowendige finanzielle und berufliche Sicherheit für eine Familiengründung zu erreichen und dann die aus dieser Familiengründung erwachsenden Aufgaben paritätisch mit dem Partner / der Partnerin zu teilen: wo bleiben unbefristete Teilzeitoberassistenzen? Warum gibt es keine Lehrprofessuren mit Teilzeitmöglichkeit oder Professuren im Jobsharing?
Matilda

Re: Wer bewirbt sich eigentlich auf PostDoc-Stellen in DE?

Beitrag von Matilda »

Telephonmann, Du sprichst mir voll aus dem Herzen. Ich habe gerade meine Promotion beendet und mit Kind studiert. Mittlerweile habe ich zwei und mein Mann ist derjenige mit festem Einkommen und einer unbefristeten Stelle im Öffentlichen Dienst. Damit bin ich auf einen gewissen Umkreis festgenagelt. Stellen für mein Profil sind aber in der Region rar und ich bin zwar bereit, täglich auch eine größere Strecke zu fahren, aber das muss sich auch rentieren, damit ich nicht am Ende draufzahle und letztlich glaubt auch offenbar an verantwortlicher Stelle niemand, dass ich das schaffe.
Und eigentlich kann man sich in der Wissenschaft prinzipiell durchgehend bewerben, die letzte Stelle, auf die ich mich beworben habe, hatte eine Befristung von 3 Monaten. Da bleibt einem eigentlich die Spucke weg, aber wenn man keine Wahl hat....
Ich frage mich im Moment immer wieder, warum ich diesen steinigen Weg eigentlich gegangen bin und meiner Familie soviel zugemutet habe (Auslandsaufenthalte etc.).
Und mein Umfeld reagiert mit völligem Unverständnis, so in etwa: Das kann doch bei Deiner Ausbildung nicht so schwer sein. Ist es aber!!!
Bei einem meiner letzten Bewerbungsgespräche (Volontariat) wurde ich zudem nur zur Kinderbetreuung gelöchert und durfte mir dann anhören, dass das eine Stelle sei, in der man mindestens 10- 12 Stunden am Tag verfügbar sein sollte. Und das für knapp 1000 Euro!
Ich bin nicht einfach nur empört, eher fassungslos und muss schon sehr aufpassen, dass ich nicht verzweifle, weil mir diese oder jene Kompetenz fehlt :(
chaosbringer

Re: Wer bewirbt sich eigentlich auf PostDoc-Stellen in DE?

Beitrag von chaosbringer »

Penguin hat geschrieben: Ich wuerde sagen, solche Stellen sind wohl v.a. fuer Leute attraktiv, die schon einen postdoc im Ausland gemacht haben (oder anschliessend machen wollen), so dass sie genuegend Jahre als postdoc gearbeitet haben um ihre Habil fertigzustellen.
Willst du damit sagen, dass man mehr als 4 Jahre für eine Habil braucht und ein Auslandsaufenthalt essentiell ist?
Mhm, naja, ich glaube ich werde mal zum dem Vorstellungsgespräch hingehen und höre mir auf jedenfall mal alles an. Aber auf jedenfall eine schwierige Entscheidung. In 4 Jahren bin ich schon knapp 38 :(
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