Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Zwonk
Beiträge: 10539
Registriert: 28.04.2013, 14:13
Status: Dr. Zwonk
Hat sich bedankt: 2 Mal
Danksagung erhalten: 8 Mal

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von Zwonk »

DoneXY hat geschrieben: Ich denke, trotz meiner Ungenauigkeit - die ich vom Threadstarter blind übernahm - ist deutlich, worauf es mir ankam: Vermutlich kann keine / keiner hier aus dem Stehgreif die allgemeine Qualtität der Dissertation von anno dazumal beurteilen.
Ja, meine Richtigstellung war vielleicht übergenau. Tut mir leid.

Übrigens - wir müssen noch nichtmal zurück zu Kant gehen, selbst im letzten Jahrhundert sahen Dissertationen teilweise noch ganz anders aus. In meinem Regal steht die Dissertation von Wilhelm Schapp von 1910. Den kennen heute nur die wenigsten aber immerhin hat der bei niemand geringerem als Husserl promoviert. Die Dissertation ist ganz interessant, ein nettes kleines Büchlein, aber mein Doktorvater hätte mir das nie und nimmer durchgehen lassen. Z.B. fehlt faktisch jede Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand, zitiert wird in der ganzen Arbeit so gut wie gar nicht.

Das sind jetzt 100 Jahre Unterschied und die Vergleichbarkeit ist schon nur nach vage gegeben, bis zu Kant sind es 260 Jahre und man kann das auf Grund der mannigfaltigen Veränderungen wirklich kaum noch vergleichen und so Fragen wie "war Anaximander oder Stephen Hawking der bessere Wissenschaftler?" ergeben gar keinen Sinn mehr. Demnach würde ich sagen, daß die Vergleichbarkeit von Wissenschaft sowieso nur innerhalb von einem relativ beschränkten Zeitfenster gegeben ist und so historische Exkurse wenig dazu beitragen, die Qualität heutiger Dissertationen zu bewerten.
12. Dec 2016;01. Feb 2017;f;zum neuen Job!
Sapphirine

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von Sapphirine »

flip hat geschrieben:Naja, eine Frage übergehen hier alle elegant. Nämlich ob/warum sie den "Titel" führen (möchten). ;)
Ist doch viel interessanter über den Wert der Dissertationen von Kant zu philosophieren oder etwa nicht? ;)

Ich stimme Deinem vorigen Post zu und führe meinen Titel nicht, weil ich ihn vor allem als eine beruflich notwendige Qualifikation sehe. In meinem Fachbereich ist es fast nicht möglich, ohne Promotion weiter in der Wissenschaft tätig zu sein und deshalb habe ich mich dafür entschieden. Im beruflichen Bereich, finde ich den Titel eigentlich total unnötig. Je nach Stelle die man danach findet, ist den Kollegen ja sowieso klar, dass man promoviert haben muß. Ich fange jetzt einen Post-Doc an ... da wird doch jeder an der neuen Uni gleich wissen, was ich vorher gemacht habe also wozu bräuchte ich den Titel? Bleibt also nur das nicht-professionelle Umfeld, welches man mit dem Titel beeindrucken könnte aber das finde ich ehrlich gesagt einfach albern.
DoneXY

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von DoneXY »

carlo hat geschrieben:Die Frage nach dem "substantiellen Wert" hat - so gestellt - meines Erachtens womöglich nicht sonderlich viel substantiellen Wert.
Ich finde es bedrückender, dass ein BWLer, also ein Wirtschaftswissenschaftler von der 'Inflation eines Wertes' schreibt. Tatsächlich ist eine Inflation kein 'Aufblasen eines Wertes', sondern eine 'Entwertung'.
Zwonk hat geschrieben:Die Dissertation ist ganz interessant, ein nettes kleines Büchlein, aber mein Doktorvater hätte mir das nie und nimmer durchgehen lassen. Z.B. fehlt faktisch jede Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand, zitiert wird in der ganzen Arbeit so gut wie gar nicht.
Guter Punkt. Auch ich kenne alte 'wissenschaftliche' Arbeiten, die den modernen wissenschaftlichen Standards nicht genügen und heute keinesfalls als Dissertationsschrift durchgehen würden..
Cybarb
Beiträge: 220
Registriert: 12.06.2011, 16:57
Status: fertig
Hat sich bedankt: 7 Mal
Danksagung erhalten: 17 Mal

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von Cybarb »

Hallo,

zwei Punkte:

1) Was auch immer wir nun unter einem "substantiellen Wert" einer Doktorarbeit sehen (das würde eine eigenständige Diskussion erfordern): Ein Grund dafür, dass immer mehr Doktorarbeiten und damit auch Doktoren aus dem Boden schießen, ist sicherlich auch dieser unglaubliche Zuwachs an Wissen oder zumindest der intensivere wissenschaftliche Austausch. Fachzeitschriften und einfach nur Forschungsthemen haben sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht, und damit auch Ansatzpunkte für Doktoranden, an denen sie weiterforschen können. Sprich: Es muss nicht "schlecht" sein, dass immer mehr Leute zu Doktoren werden, weil dadurch der Titel an Wert verlieren würde. Vielleicht ist das auch einfach nur eine Konsequenz des Zuwachses an Wissen bzw. des intensiveren wissenschaftlichen Austauschs.

2) Ich werde meinen Dr.-Titel so ziemlich überall führen, wo das möglich ist, ohne dass es auf mich selbst peinlich wirkt. Ich werde mich also nicht mit "Hallo, ich bin Dr. Cybarb" vorstellen, aber auf meinem Perso und auf der Versichertenkarte wird der Titel stehen, weil ich mir davon in manchen Situationen eine privilegierte Behandlung verspreche. Zumindest anekdotisch ist das ja auch belegt. Peinlich werden kanns natürlich, wenn es heißt: "Soso, Herr Dr. Cybarb, mit 2,0 Promille fahren wir aber nicht mehr weiter, ne?" Aber das habe ich eh nicht vor.

Gruß
Cyb
Sebastian
Admin
Beiträge: 1973
Registriert: 30.08.2006, 12:41
Status: Schon länger fertig
Hat sich bedankt: 31 Mal
Danksagung erhalten: 53 Mal
Kontaktdaten:

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von Sebastian »

An diesen Thread von und um [denselben Benutzer] erinnert Ihr Euch schon, oder?
carlo hat geschrieben:Ich kenne armselige Doktorarbeiten aus allen Zeiten seit Gutenberg.
Sozusagen von Gutenberg bis Guttenberg... ;-)
CD45

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von CD45 »

Der Dr-"Titel" muss endlich als das behandelt werden was er ist: Ein Akademischer Grad wie alle anderen auch (Dipl, BA, MA etc).
Es macht überhaupt keinen Sinn ihn in Ausweisdokumente eintragen zu dürfen oder ihr wie eine Monstranz (Guten Tag Frau Doktor) vor sich herzutragen. Es sollte einfach ein Zeugnis sein, das wie die anderen auch in irgendeiner Mappe zu Hause rumliegt.
Wenn die Möglichkeit ihn in Ausweisdokumente einzutragen wegfallen würde und keiner mehr mir "Dr" angesprochen würde, gehe ich einmal davon aus, dass schon einmal viele Eitelkeits-Promotionen wegfallen.
Dazu noch die Regeln: a) strenge Zugangsvoraussetzungen, b) Keine Peer-reviewten Publikationen, keine Promotion und c) Pruefung durch externe, gerne internationale Profs ohne Mitbestimmungsrecht des Dr-Vaters.
Dann steigt auch die Qualität und man braucht sich um den Verfall keine Gedanken mehr machen.
flip
Beiträge: 1166
Registriert: 02.11.2012, 02:50
Hat sich bedankt: 2 Mal
Danksagung erhalten: 46 Mal

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von flip »

d) eine zentrale, digitale Datenbank, in der alle Dissertationen zu jeder Zeit für jederman abrufbar sind!

Ansonsten stimme ich meinem Vorredner zu. Der "Dr" ist ein akademischer Grad. Sicher, man hat etwas im Leben geleistet und ich denke jetzt schon an die harten anderthalb Jahre zurück und die folgende Zeit, die ich noch nächtelang durchmachen muss.
Aber es gibt doch auch zig andere Menschen, die etwas im Leben geleistet haben und dafür keinen "Titel" bekommen. Warum sollte gerade meine Arbeit dieses rechtferigen. Da, wo der Grad relevant ist, in der Forschung oder im Unternehmen/Kanzlei/Praxis führe ich ihn - wenn verlangt- und gut ist. Oder anders gesagt: Warum muss ich im Sprechzimmer, mit Dr. "xy" aufgerufen werden. Damit die anderne Menschen um mich herum zu mir aufblicken? Weil ich ein Experte zum "Rechtlichen Paarungsverhalten des nukleoiden Dopplereffektes im 14 Jahrundert" bin?
touchtheday

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von touchtheday »

CD45 hat geschrieben:Der Dr-"Titel" muss endlich als das behandelt werden was er ist: Ein Akademischer Grad wie alle anderen auch (Dipl, BA, MA etc).
Es macht überhaupt keinen Sinn ihn in Ausweisdokumente eintragen zu dürfen oder ihr wie eine Monstranz (Guten Tag Frau Doktor) vor sich herzutragen. Es sollte einfach ein Zeugnis sein, das wie die anderen auch in irgendeiner Mappe zu Hause rumliegt.
Wenn die Möglichkeit ihn in Ausweisdokumente einzutragen wegfallen würde und keiner mehr mir "Dr" angesprochen würde, gehe ich einmal davon aus, dass schon einmal viele Eitelkeits-Promotionen wegfallen.
Dazu noch die Regeln: a) strenge Zugangsvoraussetzungen, b) Keine Peer-reviewten Publikationen, keine Promotion und c) Pruefung durch externe, gerne internationale Profs ohne Mitbestimmungsrecht des Dr-Vaters.
Dann steigt auch die Qualität und man braucht sich um den Verfall keine Gedanken mehr machen.
Indes haben wir uns so einiges erhalten, was im Staate Preußen nicht unmittelbar nach Militarismus aussah. Dazu gehört unter anderem der "Ersatzadelstitel Doktor", den sich das Bürgertum in dieser Form hart 'erkämpft' hat. Das ist nicht mehr zeitgemäß, aber eine gesellschaftliche Tradition, ganz besonders im Nachfolgestaat des preußischen Kaiserreichs.

Ich bin kein Verfechter dessen, den "Titel" überall vortragen zu müssen. Eher plane ich persönlich, es wie ein professionelles Vorbild zu halten: Eine Kollegin, die ihren Titel nur dann auspackt, wenn sie selbst Pseudotitelträgern gegenübersteht. Also als Verhaltensspiegel, in gewisser Weise. Gleichwohl halte ich es für gefährlich, mit jeder denkbaren Tradition aus moralischen Gründen zu brechen, sofern diese niemanden verletzt; Moral als Leitargument also zumindest diskutabel ist. Schließlich ist, um den Bogen zu schließen, preußisches Gedankengut nach wie vor etwas, was den Deutschen zum Deutschen macht.

Hier schließe ich mich indes nicht persönlich ein.
epikur
Beiträge: 130
Registriert: 27.03.2011, 12:50
Status: Dr. phil.

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von epikur »

Liebe ForumsteilnehmerInnen,

obwohl ich einige der hier ausgetauschten Argumente durchaus teile, habe ich mich die ganze Zeit gefragt, was mich an dieser Diskussion stört.
@touchtheday - dank Deines Posts ist mir nun eingefallen, was dies ist!

Ich bin kein Historiker - und die hier anwesenden HistorikerInnen mögen mich bitte ggf. korrigieren.
Nach meinem Kenntnisstand ist es jedoch keinesfalls so, dass der Doktorgrad als Adelstitelersatz im preußischen Bürgertum historisch eine herausragende Rolle spielte.
Heutzutage sind in Deutschland ca. 1,5% der Bevölkerung promoviert - und das wird hier schon als "Inflation" bezeichnet... :?: Selbst bei ausschließlicher Betrachtung des (Bildungs-) Bürgertums ist dies nur bei einem einstelligen Prozentsatz der Fall. In vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten war selbst innerhalb des (privilegierten) Bürgertums der Anteil derjenigen, die Zugang zur Hochschulbildung hatten und erst Recht derer, die promovierten, noch erheblich geringer. Der Doktorgrad kann also schon quantitativ kein Adelstitelersatz gewesen sein - und von seiner gesellschaftlichen Bedeutung her erst recht nicht.
Diese Rolle kam im preußischen Obrigkeitsstaat und (beinahe bis heute) bei den Habsburgern vielmehr den Dienstgraden und Rangabzeichen des Militärs, des Beamtenapparates und des Hofstaates zu. Der gelehrte "Doktor" oder "Professor" wurde zwar respektiert, galt aber auch ein wenig als intellektueller, weltfremder Sonderling (wie heute teilweise auch noch). Die schillernde, goldbehangene Uniform des "Generalfeldmarschalls" löste bei den Bürgerstöchtern und Schwiegermüttern in Spe weitaus mehr Entzückung aus, als der graue Rock, der komische, schwarze Doktorhut und die Nickelbrille des Gelehrten...! Waren dessen Gedanken dann noch kritisch und unkonventionell, galt er evtl. sogar als subversiv und gefährlich... :twisted:

Wichtiger sind mir jedoch die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Adelstitel, den genannten (bürgerlichen und militärischen) Dienstgraden sowie dem Doktorgrad.
Wurde der Adelstitel ohne eigenes Zutun qua Geburt tradiert, erfordert(e) die Erlangung der genannten Dienstgrade - böse gesagt - fleißige "Anusvisiten" bei Dienstherren und Vorgesetzen.

Die Doktorwürde wurde und wird hingegen für eine eigenständige, wissenschaftliche Leistung verliehen, welche neue Erkenntnisse beinhaltet, die dem wissenschaftlichen Fortschritt dienen! Selbständig, kreativ und kritisch wissenschaftlich tätig zu sein und dabei etwas relevantes Neues und Besonderes zu schaffen, ist also der eigentliche Sinn und Zweck des Promovierens, an dem wir uns Alle messen lassen sollten!
Und dies ist genau das Gegenteil davon, zu Dienern, zu Kratzbuckeln und die Hacken zusammenzuschlagen - und etwas, was uns wissenschaftlich Kreative im o.g. Sinne sogar in eine gewisse Distanz zum (Spieß-) Bürgertum stellt!

Dass Anspruch und Realität divergieren, ist nicht nur bei Promotionen so.
Andererseits sollten wir uns nicht von den (Boulevard-) Medien dazu verleiten lassen, unrühmliche Ausnahmen der Guttenbergs, Titelkäufer und Dünnbrettbohrer zur Regel zu erklären und sollten trotz aller Verunsicherung endlich aufhören, uns selbst unsere hart errungenen Doktorgrade als wohlverdiente Früchte unserer selbständigen, kreativen wissenschaftlichen Arbeit, auf die 99% von uns mit Fug und Recht stolz sein können, madig zu machen!!!

Einen schönen Sonntag wünscht

epikur
DoneXY

Re: Der Dr.-Titel - Von der Inflation eines Wertes

Beitrag von DoneXY »

carlo hat geschrieben:Was hier im Thread manchmal anklingt, ist die Vorstellung, gesellschaftliche Probleme über persönlichen Verzicht zu lösen.

Z.B.: Durch Verzicht auf das Tragen des Dr.-Titels soziale Missstände zu mindern.
Ich denke, ich habe diesen Thread recht aufmerksam verfolgt, kann mich aber nicht an ein einziges Posting erinnern, in dem der alberen Gedanke, 'durch Verzicht, Missstände mildern zu wollen', geäußert wurde.
epikur hat geschrieben:Heutzutage sind in Deutschland ca. 1,5% der Bevölkerung promoviert - und das wird hier schon als "Inflation" bezeichnet... :?
Auch das sehe anders: Ausschließlich der Threadstarter sprach von einer 'Inflation'. Allerdings in einer recht wirren Weise, da Werte nicht inflationiert werden können. Angesichts des Gegenwindes, der dem Threadstarter - nicht nur in diesem Thread - entgegenschlägt, ist der 'inflationierte Wert' eine sehr einsame Außenseitermeinung.
epikur hat geschrieben:Wurde der Adelstitel ohne eigenes Zutun qua Geburt tradiert, erfordert(e) die Erlangung der genannten Dienstgrade - böse gesagt - fleißige "Anusvisiten" bei Dienstherren und Vorgesetzen.
Ein selbstverdienter Titel statt eines ererbten, ginge doch als bürgerlicher Adelstitelersatz durch, in dem auch die bürgerlichen Werte (Fleiß und Selbstdisziplin) enthalten sind. Allerdings sehe ich keinen auscchließlichen Bezug auf das Preußentum.
Gesperrt
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag