Liebe ForumsteilnehmerInnen,
obwohl ich einige der hier ausgetauschten Argumente durchaus teile, habe ich mich die ganze Zeit gefragt, was mich an dieser Diskussion stört.
@touchtheday - dank Deines Posts ist mir nun eingefallen,
was dies ist!
Ich bin kein Historiker - und die hier anwesenden HistorikerInnen mögen mich bitte ggf. korrigieren.
Nach meinem Kenntnisstand ist es jedoch keinesfalls so, dass der Doktorgrad als Adelstitelersatz im preußischen Bürgertum historisch eine herausragende Rolle spielte.
Heutzutage sind in Deutschland ca. 1,5% der Bevölkerung promoviert - und das wird hier schon als "Inflation" bezeichnet...
Selbst bei ausschließlicher Betrachtung des (Bildungs-) Bürgertums ist dies nur bei einem einstelligen Prozentsatz der Fall. In vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten war selbst innerhalb des (privilegierten) Bürgertums der Anteil derjenigen, die Zugang zur Hochschulbildung hatten und erst Recht derer, die promovierten, noch erheblich geringer. Der Doktorgrad kann also schon quantitativ kein Adelstitelersatz gewesen sein - und von seiner gesellschaftlichen Bedeutung her erst recht nicht.
Diese Rolle kam im preußischen Obrigkeitsstaat und (beinahe bis heute) bei den Habsburgern vielmehr den Dienstgraden und Rangabzeichen des Militärs, des Beamtenapparates und des Hofstaates zu. Der gelehrte "Doktor" oder "Professor" wurde zwar respektiert, galt aber auch ein wenig als intellektueller, weltfremder Sonderling (wie heute teilweise auch noch). Die schillernde, goldbehangene Uniform des "Generalfeldmarschalls" löste bei den Bürgerstöchtern und Schwiegermüttern in Spe weitaus mehr Entzückung aus, als der graue Rock, der komische, schwarze Doktorhut und die Nickelbrille des Gelehrten...! Waren dessen Gedanken dann noch kritisch und unkonventionell, galt er evtl. sogar als subversiv und gefährlich...
Wichtiger sind mir jedoch die wesentlichen
Unterschiede zwischen dem Adelstitel, den genannten (bürgerlichen und militärischen) Dienstgraden sowie dem Doktorgrad.
Wurde der Adelstitel ohne eigenes Zutun qua Geburt tradiert, erfordert(e) die Erlangung der genannten Dienstgrade - böse gesagt - fleißige "Anusvisiten" bei Dienstherren und Vorgesetzen.
Die Doktorwürde wurde und wird hingegen für eine
eigenständige, wissenschaftliche Leistung verliehen, welche
neue Erkenntnisse beinhaltet, die dem
wissenschaftlichen Fortschritt dienen! Selbständig, kreativ und kritisch wissenschaftlich tätig zu sein und dabei etwas relevantes Neues und Besonderes zu schaffen, ist also der eigentliche Sinn und Zweck des Promovierens, an dem wir uns Alle messen lassen sollten!
Und dies ist genau das
Gegenteil davon, zu Dienern, zu Kratzbuckeln und die Hacken zusammenzuschlagen - und etwas, was uns wissenschaftlich Kreative im o.g. Sinne sogar in eine gewisse Distanz zum (Spieß-) Bürgertum stellt!
Dass Anspruch und Realität divergieren, ist nicht nur bei Promotionen so.
Andererseits sollten wir uns nicht von den (Boulevard-) Medien dazu verleiten lassen, unrühmliche Ausnahmen der Guttenbergs, Titelkäufer und Dünnbrettbohrer zur Regel zu erklären und sollten trotz aller Verunsicherung endlich aufhören, uns selbst unsere hart errungenen Doktorgrade als wohlverdiente Früchte unserer selbständigen, kreativen wissenschaftlichen Arbeit, auf die 99% von uns mit Fug und Recht stolz sein können, madig zu machen!!!
Einen schönen Sonntag wünscht
epikur